Ein Arbeiter über den Kaiser. Untersuchung, die jetzt im Gauge ist und sicher mit deutscher Gründlichkeit geführt werden wird, wird die Vorgange in jenen ersten Septembertagen ins Licht der Wahrheit stellen. Eine mühsame Arbeit, denn die Bewohner waren fast alle geflohen, der Bürgermeister an der Spitze, was in der Stadt blieb, war kopflos vor Schrecken und, die da kampften, waren int harten Kampfe erhitzt und erbittert. Dass aber auch da noch die Stimme der Menschlichkeit nicht stumm war, davon gibt uns die Kreideinschrift an der Tür eines Hauses Kunde. Da ist zu iesen In diesem Hause ist ein 80jahriger Greis. Dieses und die fünf Nebenhauser diirfen nicht angezündet werden. Breitf(Name unleserlich) Leutnant, 1Garde-Res.-Pionier-Komp. Eine genaue Zahl war nicht zu erfahren, es diirften von über 1500 Hausern nur noch 300stehen. Mit dem Friihlingsind auch dieBewohneringrösseren Scharen zurückgekehrt,sodass vonden 11,000 Einwohnern jetzt etwa die Halfte anwesend ist. Man fragt erstaunt, wo die alle wohnen mogen. Nun, die erhaltenen Hauser, soweit sie nicht von der Militar-Verwal- tung mit Beschlag belegt wurden, werden bis unters Dach hinauf Gastfreundschaft gewahren. Dann aber auch, sieh Durch den Schutt vieler Hauser hindurch ist ein schmaler Pfad gebahnt, er fiihrt zu den Hintergebauden Stall, Wasch- küche, Schuppen usw., wie sie in den mauerumschlossenen Höfchen der meisten belgischen Hauser stehen. Sie haben weniger gelitten und waren mit Bretterwanden leicht ausge- bessert. Hier haben viele ein Unterkommen gefunden. Man- cher Geschaftsmann hat dann auch nach der Strasse hin man will doch leben einen Laden eingerichtet, eine kleine aus Brettern oder aus leichtem Fachwerk zwischen den Ruinen seines Hauses errichtete Bude manchmal zeigt auch nur ein Kasten, hinter dessen Glasscheibe Warenproben liegen, dass hier dergleichen zu haben ist. Schon fangt man an, den Schutt aufzuraumen und die Backsteine aufeinander- zuschichten, aber an einen Wiederaufbau denkt .noch keiner. Dazu fehlt es noch an allem, an Material, Geld und Mut. Wir gehen zur Schelde hinab. Auch hier Verwüstung. Die grosse alte eiserne Bogenbrücke liegt im Wasser, nur die Fahrtrinne hat man frei gemacht. Der Mast eines Schlepp- kahnes ragt aus dem Fluss, bei Ebbe liegt er fast auf dem Trockenen, denn die Flut steigt hier schon 3 Meter. Daneben steht auf hunderten von festen Pfahlen, die unsere Pioniere in mühsamer Arbeit einrammten, eine neue Briicke. Ihre Eisenkonstruktion es ist im Gegensatz zu der alten Dreh- brücke eine Hebebrücke ist von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg A.-G. Werk Gustavsburg hergestellt. Herzog von Würtemberg-Brücke ist sie getauft, und die Firma darf stolz auf ihre Leistung sein, denn die Belgier selbst müssen anerkennen, dass sie praktischer und schoner als die frühere ist. Eine kleine Flottille von Lastkahnen und Dampfern zeigt, dass der Schiffsverkehr sich wieder beiebt. Wir steigen auf die alten Festungswalle, der Frühling hat sie mit Blüten übersat, und schauen noch einmal hin über die unglückliche Stadt, den Berg von Scherben Aber auch hier hat der Lenz sicheren Fuss gefasst. Von den Kastanienbaumen der Platze leuchten die Kerzen und aus den kleinen traulichen Gartchen, die hinter fast allen Hau sern liegen, schimmert hoffnungsfrisches Grün herüber. Die allgütige Mutter Natur ist nicht tot, ihre Krafte sind nicht vernichtet oder gelahmt. Sie wird auch den schwergeprüften Menschen dort unten Blumen auf den Weg streuen und Friichte reifen lassen, ihnen wieder neue Lebensfreude und Lebenskraft geben. Der Gedanke bewegte mich noch, als ich wieder aufat- mend vor den Toren inmitten der iiberschwenglichen Fiille stand. Wollte man unserem Vaterland nicht das Schicksal Dendermondes bereiten, es zu Boden ringen und in Stiicke zerschmettern Da das aber mit der Gewalt der Waffen allein nicht möglich war, verbiindete man sich mit dem Hunger und der Not, um sicher zum Ziele zu gelangen. Ich stehe vor einem Roggenfelde und sehe im Geiste die weiten Felder der Heimat. So dankbaren Herzens habe ich mir noch nie die Halme durch die Finger gleiten lassen. Das ist ja Brot, neues Brot, das uns retten wird vor unseren Feinden und ihren Plan zu Schanden machen. Gute Mutter Erde Wir Deutschen haben Dich nie verachtet, haben Dir neben den rauchenden Schloten und larmerfüllten Stadten breiten Raum gegeben ftir dein stilles, segenbringendes, heiliges Wirken. Du dankst es uns hundertfaltig in diesen schweren, grossen Tagen. n. DAS RATHAUS IN DENDERMONDE. In BerlinEs hat mich zu den Laubengarten getrieben, die die Grossstadt umringen. Abend und Friede auf Erden. Da und dort ging ein Arbeiter an sein Türchen und schloss den kleinen Garten auf, in dem seine Bohnen- ranken bliihten und sein Bretterhauschen stand. Einen Mann mit grauem Vollbart und einem recht altdeutschen Meister- gesicht redete ich an undfragte ihn um seine Ernte und ob das lohnte. Und von den Birnen kamen wir auf die Not der Zeit zu sprechen, und wie wir alle litten und dennoch ein wenig stolz seien auf die Last, die uns auferlegt sei. Und dann kamen wir auf den Kaiser zu sprechen, auf den hier immer wieder die Rede kommt. Dies ganze Volk ist ja wie getrankt von diesem SeingedenkenAlles erfüllt er, alles sieht nach ihm hin, und jeder bittet ihm im Stillen ab, was er jemals wider ihn gehadert hattedenn der Kaiser leidet Das verstehen sie alle, die Schwerbeladenen. Ich habe harte Manner gesprochen, die ihre Tranen nicht zurückhalten konnten, wenn sie mir erzahlten, wie es dem Kaiser ebenso ging, als er seinen Schmerz um die furcht- baren Verluste seines Leibregiments zu verbergen trachtete.

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Landsturm | 1915 | | pagina 3