Erlebnisse eines Kraftradfahrers.
Munde der Soldaten zu Entfernungsschatzern geworden.
Auf die Artillerie, vor allen Dingen auf die Geschosse,
entfallt wohl der grösste Teil neuer Namen.
Zunachst beschiesst sie nicht, sondern sie begurkt
den Gegner. Die Geschosse haben ja schliesslich auch mehr
oder minder Aehnlichkeit mit den geschatzten saftigen
Früchten, von denen die Bezeichnung hergeleitet wird. Aber
damit begnügt sich die Feldsprache nichtsie nennt die
Geschosse unteranderm auch Liebesgaben, eiserne Liebes-
gaben, Postpakete, alte Herren oder nach Verkehrseinrich-
tungen Hochbahnen, Luftomnibusse oder D-Züge.
Ausser diesen mehr als Sammelnamen gebrauchten
Ausdrücken führen auch die Geschosse der einzelnen Ge-
schütztypen, vor allem natürlich die der Feinde, hüben und
drüben ihre eigenen oft sehr bezeichnenden Namen. Nach
der Art des entwickelten Rauchs heissen sie .schwarze
Saue, Wollbar oder Stinkwiesel, nach der Art des Einschla-
gens und Anspringens werden sie als Blindschleiche, Ketten-
hund oder Windhund benannt.
Auch die Geschütze haben ihre Namen. Bekannt ist
die dicke oder fleissige Berta Das 21 cm Ge-
schütz der Franzosen heisst der grobe Gottlieb ihre
7,5 cm Kanone der Kurze Gustav die 15 cm. Kanone
der Gurgel-August Die Maschinengewehre haben sich
zahlreiche Bezeichnungen erworben Kaffeemühle, Drehor-
gel, Bohnenspritze, Fleischhackmaschine, Stottertante,
Steinklopfer u. s. w. Die Franzosen nennen sie Giesskan-
nen Die Gewehrkugeln heissen immer noch Bohnen",
auch Fliegen, Bienen, Sperlinge. Die Handgranaten werden
Apfelsinen oder auch Pfundspakete genannt.
Das humoristische Eindeutschen von fremden Wörtern,
das schon die Unsern 1870/71 begannen, setzen die Feld-
grauen fleissig fort. Im Osten wurde aus dem russischen
Wuttki ein Wuppdi das ja schön die kurze Bewe-
gung des Schnappsglases beim Trinken wiedergibt. Im
Westen setzte man für du vin (Wein gespr. dü wang)
Diwang ein. Ein poulet (fettes Huhn gespr. puleh)
wurde ein Bulle der paysan "(Bauer) ein Pisang"
Ein bisschen höflicher war man schon gegen die hübschen,
jungen Madels, französisch jeune fille (gesprochen
schöhn fij), die man sich als Schönvieh mundgerechter
machte. Und wenn die Soldaten diesem Schönvieh einen
Beseh geben (baiser-Kuss, gespr. basseh), so denken
sie gewiss an besehen und halten den Kuss für eine
etwas erweiterte Besichtigung.
Ein ganzes Kapitel ware darüber zu schreiben, wie die
fremden Ortsnamen verdeutscht werden, insbesondere
mögen im Osten die tollsten Dinge bei den schwer aus-
sprechbaren Namen vorkommen. Nur ein paar Beispiele
aus dem Westen aber seien hier noch erwahnt. Sommé-
court wurde zu Gummigurt und Verlinghem zu Sper-
lingsheim Der Name für die kleinen Wirtschaften Esta-
minet" wurde zu „Testament".
Ein Feldpostbrief aus den Kampten bei Dendermonde
und Alost, Ende Septbr. 1914.
Aus schweren Tagen bin ich glücklich unverwundet
hervorgegangen. Am 24. September war noch alles guter
Dinge. Nachts 2 Uhr kam Alarm. Schnell alles eingepackt
und ratternd gings durchs dunkle Brussel mit wichtigen Mel-
dungen. Bald rücken wir aus Briissel aus, wohin unbekannt.
Gegen Abend sind wir inj\lost. Fremde Menschen, die nur
flamisch sprechen. Wir sucïïên Quartier und gegen 11 Uhr
liege ich glücklich mit dem Fahnrich zusammen, todmüde
schlummernd. Um 4 Uhr Wecken, heraus nach Termonde,
was nach Meldung vom Feinde schwach besetzt sein soil.
Nachdem ich viel hin- und hergefahren war, langen wir,
Infanterie, etwa 1000 Mann, und vier Geschütze unserer
Batterie, vor Termonde an. Der Stab an der Spitze kommt
in ein Gehöft, um von dort den Angriff zu leiten. Ich bin
beim Stabe. Es war 8 bis 9 Uhr am Samstag, 26. September.
Den Tag werde ich nie vergessen. Man hört kein Knallen,
alles ruhig, unsere Infanterie geht langsam vor. Da plötzlich
pfeifen Kugeln über uns, Schüsse fallen, wir decken uns
hinter dem Hause. Nur Oberst von S. steht noch auf der
Strasse, ein unglaublich mutiger Mann. Radfahrer vor
ruft er. Nach vorn horen, was los ist Ich melde mich,
doch der Oberst sagt, er verwahre mich für Notfalle.
Schweisstriefend kommt der andere Radfahrer nach wenigen
Minuten zurück und meldet Auf Kirchturm Maschinen-
gewehr. Man schiesst aus den HausernDazwischen
pfeifen die Kugeln. Der Oberst ruft Artillerie-Haupt-
mann Unser Hauptmann S. mit grauem Vollbart kommt
zu ihm. Kaum beim Oberst, ruft erGetroffen springt
zurück und fallt zu Boden. Schuss durch Hand und Leib.
Gleich ins Haus getragen, wird er verbunden. Er war der
erste. Zwei Geschütze fahren auf, fünf Schüsse und der
Kirchturm ist nicht mehr. Das schreckliche Pfeifen hört für
einen Augenblick auf, als unsere Schüsse verklungen waren.
Dafür knattert über uns ein feindlicher Aeroplan und notiert
unsere Starke. Er war zu hoch, sonst hatten wir ihn herab-
geholt.
Der Oberst, der Adjutant und ich und Infanterie gehen
vor in die Stadt. Wir an der Spitze. Da plötzlich brechen
Schüsse aus den Hausern und Kellern. Viele arme Kame
raden fallen zu Boden, tot oder verwundet. Ich sehe heute
noch einen Gewehrlauf vor mir, wie er aus einem schrag
gegenüberliegenden Hause plötzlich hervorkam. Ich brülle
Achtung und springe zurück in eine offenstehende Türe,
hinter mir schlagt ein toter Körper zur Tür hinein. Darüber
weg und zurück, langsam, der Oberst zuletzt. Vier bis fünf
Hauser werden noch schnell angezündet. Befehl Motor-
fahrer vor! Holen Sie zwei Geschütze!" Fünf Minuten
spater und der erste Schuss kracht in die Hauser. Es war
auf Leben und Tod. Wir rückten in eine Seitenstrasse, und
nun geht's los.
Acht Stunden waren wir in dieser kleinen Strasse und
dabei standiges Schiessen. Um 3 Uhr geht allmahlich die
Munition aus. Ich werde gerufen, die Munitionswagen stan
den vier Kilometer zurück in Sicherheit. BefehlHolen
Sie zwei Wagen Und schon sause ich los. Man hielt
mich für verloren. Aber es gelingt mir, durchzukommen,
obwohl man toll auf mich schoss. Egal höchste Geschwin-
digkeit. Zwei Wagen mit Munition rasen los was die Pferde
leisten konnten, wurde herausgeholt. Es gelang, und der
Oberst drückte mir die Hand.
Plötzlich kommt ein Auto mit einer wahnsinnigen Kühn-
heit heran und ganz ruhig entsteigt ihm Generalfeld-
marschall von der Goltz, der Gouverneur von BrüsselKaum
ist er da, so beginnt ein neuer Angriff auf uns. Er wird so
mutig von einem unserer Geschütze abgehalten, dass Frei-
herr von der Goltz sein Eisernes Kreuz von der Brust nimmt
und es unserem Geschützfiihrer eigenhandig ansteckt.
Ebenso erhalt unser Oberst das Eiserne Kreuz des Adjutan-
ten vom General iiberreicht. Der General verabschiedet sich
dann mit den höchsten Lobsprtichen auf uns und verspricht,
uns gleich Verstarkung zu senden.
Da ein weiteres Fahren auf meinem Rade zu gefahrlich
schien, werde ich in ein Haus auf Beobachtung geschickt.
6 Uhr noch immer keine Verstarkung. Da das Blut