Landsturm im Gefecht.
Dies und das.
Mutter Wawrik strickte noch am selben Tag, da sie
erfahren hatte, dass ihrem Sohne im Krieg beide Beine weg-
geschossen worden
Komm nur herein," winkte sie derjungen, setze
dich zu mir. Ich kann das Strickzeug nicht gut weglegen,
denn der kleine Wagnerhat die warmen Socken sicher schon
durchgelaufen, und wer weiss, ob sein Nebenmann nicht
auch welche braucht.
Da schlich sich Anne an die alte Frau heran.
Mutter, Mutter, ich will Euch helfen, sagte sie leise.
Mutter Wawrik nickte ihr zu, und wenn das eigne Weh
ihr auch noch in den Augen stand, so war doch ein Lacheln
urn ihre Lippen, die Freude in ihrem Herzen, dass sich je-
mand zu ihr gefunden hatte.
M. R. Dreyhan
Köln. Volkszeitung
(Ein Erlebnis in Belgien vor einem Jahr.)
Die Position des Landsturms ist doch nicht so gefahr-
los, als gemeinhin angenommen wird. Wir Landstiirmer
liegen ja nicht direkt in der Feuerlinie, die taglich Tod und
Verderben verbreitet, sondern uns ist vor allem der Schutz
und die Bewachung der Bahnstrecken zum lückenlosen
Militartransport übertragen. Wir erfüllen unsere Pflicht nach
besten Kratten und müssen dabei Augen und Ohren gehorig
offenhalten. Aber gerade diese peinliche Pflichterfiillung
muss doch den Belgiern schwer im Magen liegen, weshalb
sie Versuche unternehmen, den Wachen hinterlistig zuleibe
zu rücken. Einen solchen Ueberfall hatte die zweite Land-
sturmkompagnie am Abend des 24. September abzuwehren.
Eine belgische Radfahrer-Kolonne in Starke von 70 Mann
versuchte die Sprengung eines 400 Meter langen Bahntun-
nels und die Zerstörung des Schienenstranges, der gerade
für unseren Truppentransport nach Frankreich eine Lebens-
notwendigkeit ist. Der Ueberfall ist von unsglatt abgewehrt
worden. Wirsind mit heiier Haut davongekommen, von den
Angreifern sind neun auf der Strecke geblieben, einige wur-
den verwundet und 46 gefangen genommen. Ausserdem
fielen 64 Fahrrader in unsere Hande. Die Erbeutung der
Rader lieferte uns den klaren Beweis, dass es auf die Spren
gung und Zerstörung des Bahnkörpers abgesehen war, denn
samtliche Fahrrader waren mit Dynamit und Zündschnur
ausgestattet. Bei der Visitation der Toten und Gefangenen
machten wir dieselbe Erfahrung, ausserdem hatten die bel-
gischen Soldaten Landkarten und sonstiges Material bei
sich. Am 25. September ertönte wieder Alarm, jedoch sind
wir nicht zum Ausrücken gekommen. Seit dieser Zeit haben
wir bis heute Ruhe gehabt, allerdings üben wir sehr scharfe
Wacht.
Neuerdings treibt sich sehr viel uneingekleidetes belgi-
sches Militar hier herum, das heimlich arbeitet. Franktireur-
banden treten nach den für sie schlimmen Erfahrungen jetzt
seltener auf, trotzdem ist ausserordentliche Vorsicht unbe-
dingt nötig.
Seit ungefahr acht Tagen erschüttert unaufhörlich Ka-
nonendonner die ganze Gegend. Auch nachts sind die
furchtbaren Detonationen vernehmbarsie kommen aus der
Richtung von Antwerpen, wo es gegenwartig furchtbare
Kampfe geben muss.
Belobigungen. I. Am 7. August 1915, abends,
wurden zwei flüchtende Verbrecher, die wegen Einbruchs-
diebstahls der Staatsanwaltschaft zugefiihrt werden sollten,
von Einwohnern verfoigt. Der eine der Verbrecher schoss
mit einem Revolver auf seine Verfolger, die ihn gleich darauf
festnahmen.
Durch die Schiisse wurde der Unteroffizierposten an
der Bahnstrecke Ottignies-Namur aufmerksam. Der Gefreite
Kogel und der Ersatz-Reservist Kipper der 2. Kom-
pagnie Landsturm-Bataillons Elberfeld nahmen die Verfol-
gung des zweiten, iiber den Bahndamm fliichtenden Ver-
brechers auf und gaben, da er auf Halterufe nicht stehen
blieb, mehrere Schüsse auf ihn ab. Der Gefreite Kogel
erschoss den Fliichtling.
II. In der Nacht vom 9./10. August 1915 versuchten
6 Belgier am Scheldedamm bei Antwerpen iiber den Draht-
verhau zu gelangen, urn über das Scheldevorland Holland
zu erreichen. 5 von ihnen wurden festgenommen, der sechste
kam an die elektrische Hochspannleitung und wurde von
dieser getötet.
Bei der Aufspürung und Festnahme der 5 Verhafteten
haben sich der Wachthabende, Getreiter Boll und der
Wehrmann K a r c h e r der 2. Kompagnie Landsturm-
Infanterie-Bataillons I Mannheim durch umsichtiges, ent-
schlossenes Handeln besonders hervorgetan.
Der General Gouverneur, Se. Excellenz Generaloberst
Frhr. v. Bissing, spricht im Militar-Verordnungsblatt
Nr. 20 den bei diesen beiden Ereignissen beteiligten Land-
sturmleuten für ihr Verhalten seine volle Anerkennung aus.
Belgiens Neutralitat. Ein Belgier F. Norden,
Anwalt beim Appellationsgericht in Brüssel hat ein Buch
herausgegeben mit dem Titel „Das neutrale Bel
gien und Deutschland nach den Schriften
belgischer Staatsmanner und Juristen".
Norden kommt darin zu folgenden Ergebnissen Der Vertrag
vom 19. April 1839, auf dem Belgiens Neutralitat beruht,
enthalt keine Bestimmung über die Unverletzlichkeit des
Staatsgebietes. Ein Staat kann auch wie das Rumanien
.1877 Russland gegenüber getan hat einem Kriegführenden
das Recht des freien Durchzugs gestatten, ohne aus seiner
Neutralitat herauszutreten.
Der Verfasser betont, dass die deutsche Note vom
2. August, die das Recht des Durchzuges fordert, besonders
loyal gehalten war, indem sie Belgien für den Zeitpunkt des
Friedensschlusses das ganze Staatsgebiet garantiert und
sich verpflichtet, das belgische Gebiet alsbald nach Frie-
densschluss zu raumen.
Sodann beleuchtet Norden die deutsche Kriegsführung
und bezeichnet sie als durchaus human. Da, wo das Land
unter dem Kriege gelitten hat, handelt es sich entweder urn
Platze, die in der Gefechtslinie gelegen, oder urn Falie, in
denen die Einwohner entgegen den Regeln des Kriegsrechts
die deutsche bewaffnete Macht überfallen hatten. In letzte-
rer Beziehung führt er als Beweismittel Auszüge aus den
belgischen Zeitungen an, die aus der Zeit vom 5. bis zum
20. August stammen.
Der humanen deutschen Kriegsführung stellt Norden
die Kriegsführung der Alliierten gegenüber. Insbesondere
legt er dar, wie England gegen alle anerkannten Grundsatze
des Völkerrechts dauernd verstösst, und wie es den Hunger-
krieg gegen Deutschfand führt. Er zeigt weiter, dass durch
die Kriegsführung Englands auch die Ernahrung Belgiens in
AusDer deutsche Krieg in Feldpostbriefen. Herausgegeben
von Joachim Delbrück. I Band Lüttich, Namur, Antwerpen.
4. Auflage. Verlag Georg Muller, München Preis
geh. 3-M. geb 4-M.