Die dicke Bertha schiesst. O O Sonntagsmusik der Kapelle des Landst. Batl. Trotzdem der Wagenverkehr fast ganz ruht, ist auf den Strassen Larm genug. Die fliegenden Obsthandler schreien ihre Waren mit einer Stimme aus, die in gar keinem Ver- haltnis zu dem kleinen Handkörbchen voll Nüsse oder Birnen steht, das sie am Arm tragen. Die Zeitungsverkaufer brallen den Namen ihres Blattes und blasen dazwischen mit voller Lunge so herzhaft in ihre Hörner, als ob ein Gross- feuer ausgebrochen ware. Die Muschelverkaufer haben sich Knarren zugelegt, deren Gekreisch durch Mark und Bein geht, wahrend man bei den Eiscrême-Handlern eine gewisse Rücksichtsnahme auf die Nerven ihrer Mitmenschen mit Genugtuung feststellen kann. Ihr fortwahrendes Geklingel ist harmlos gegen den Larm, den ihre Strassenkollegen verüben. Sie machen übrigens recht gute Geschafte und fahren bis auf die Dörfer hinaus. Wer aber einmal gesehen hat, in welchen Budiken und von welchen Handen dieser delikate Crème hergestellt wird, den fasst bei ihrem Anblickein Granen. Es ist Krieg, darum muss man es sich schon gefallen lassen, dass einem die kleine Landsturmkapelle auf dem Marktplatz an jedem Mittwoch- und Sonntagmittag eine Stunde lang allerlei deutsche Weisen vorspielt. Dafür streikt aber auch der Beiaard (Glockenspiel) auf dem Belfried und klingelt nun schon fast einundeinhalbes Jahr den Deutschen dieselbe Melodie in die Ohren, wahrend man doch sonst von Zeit zu Zeit ein anderes Stück einstellte. Dass es nun gerade ein deutsches Stück ist, was bei den vollen Stunden ertönt namlich eine Melodie aus Glucks Armide war wohl nicht beabsichtigt. Wir sind vordas Stadttor angelangt. Auf einer grossen Flache sehen wir Manner graben und hacken und auf Kar- ren und Feldbahnen Erde fortbewegen. Hier soli ein 18 ha grosser öffentlicher Park angelegt werden, der der Stadt schon lange dringend fehlte. Nun gibt er als Notstandsarbeit vielen Leuten Brot und Beschaftigung. Man hat vorgeschla- gen, ihn beim Friedenschluss zu eröffnen und Friedens- park zu nennen. Wie aber, wenn dieser Friede das ist Metz 1. Comp. auf dem Marktplatz in Aalst. das möglich für Belgiens Selbstandigkeit nicht günstig ausfallt Auch dann mag er Friedenspark heissen, hat mir mal ein Bürger gesagt, urn dann fortzufahren Die kleinen Lander werden doch über kurz oder lang von den grossen aufgefressen werden. Besonders wenn sie, wie Belgien keine ausgesprochene Nationality haben. Das Her- untergeschlucktwerden ist ja schmerzlich, aber je schneller desto besser. Wir haben es satt, wie ein guter Bissen von unseren drei machtigen Nachbarn lüstern betrachtet und beschnüffelt zu werden. Deutschland hat jetzt den Bissen iin Maul, ob er ihm nicht noch entrissen werden wird, weiss ich nicht. Auf jeden Fall würde Deutschland unseren Frieden am besten schützen können. Und Frieden, mein Herr, Frie den tate unserem Lande, auf dessen Boden immer und immer wieder die europaischen Krieges ausgefochten wurden, bitter not. Es ist KriegAber in den breiten Massen des belgischen Volkes hat die Sehnsucht nach Frieden tiefe Wurzeln gefasst, nach einem Frieden urn jeden Preis. h— Der Berliner Zeichner, jetzige Gefreite bei der Feld- artilierie im Osten, R. L. Leonhard sendet der B. Z. am Mittag eine höchst anschauliche Plauderei über die dicke Bertha, der wir folgendes entnehmen Ich hab' sie gesehen, nicht von weitem etwa, nein, aus allernachster Nahe habe ich sie gesehen. Sie ist grandios. Sie fragen, wie sie aussieht O, sie ist nicht schlank, wie ich es eigentlich liebe, sie sieht aus wie eine Loko- motive. Und mehr darf ich nicht sagen, die Geschichte hört hier einfach auf, denn alles ist geheim. So kann ich nur drum rum reden. Also Sie ist enorm, aber man kann sie kaum finden, so hat sie sich versteekt. Aber nun steht sie vor mir, die berühmte, überwaltigende, geliebte, dicke Bertha. Und sie

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Landsturm | 1915 | | pagina 5