Wilhelm Hausenstein
Beigien
Eugen Probst
Eindrücke eines Neutraien
In Flandern.
Deutschlands Wirtschaftskraft in englischem
Lichte.
lich körperüch und dadurch dieser Stadt zu eigen. Das End-
gültige ist in Gent dabei das Bürgerliche.
Gent ist der Geburtsort Karls V., unter dem irn 16. Jahr-
hundert die Stadt die höchste Blüte erlebte damals war sie
eine der berühmtesten Stadte Europas, ein Sammelplatz
erlesener Geister und der Wohnsitz begüterter Patrizierfa-
milien. Aber auch hier vernichtete Herzog Alba auf lange
Zeit den Wohlstand. Nach seinein Schreckensregiment stand
die Haelfte der Stadt leer. Eine betrachtliche Anzahl noch
erhaltener Prachtbauten ist in der ganzen Stadt, namentlich
am Korn- und Gemüsemarkt, zerstreut. Die in den letzten
Jahren durchgefiihrten, zum Teil ganz verstandnislosen und
nicht immer geschickten Strassendurchbrüche, Freilegungen
und Platzanlagen haben der vornehmsten Stadt in gantz
Flandern wie sie Merian genannt hat, von ihrem früheren
baulichen Reiz manches Erhaltenswerte genommen. An der
höchst malerischen und sehr alten St. Nikolauskirche sind
vor einigen Jahren die angebauten ein- und zweistöckigen
Hauser leider entfernt worden, und jetzt ist sie so baufallig,
dass der Gottesdienst vorsichts'nalber eingestellt werden
musste und seit kurzer Zeit eine Umzaunung die Passanten
vor dem möglichen Einsturz warnt. Hoffentlich wird dem
schonen friihgotischen Bau recht bald die erhaltende Für-
sorge zuteil. Die gewaltige gotische Hauptkirche St. Bavo,
ein schmuckloser Bau, birgt im Innern ein künstlerisches
Hauptstück, den weltbekannten Flügelaltar der Anbetung
des makellosen Lammes Das ganze grosse Altarwerk der
Brüder van Eyck bestand, alle Aussenseiten mitgerechnet,
aus 20 Tatelfi, von denen aber, wie man weiss, nicht mehr
alle in origineller Gestait in Gent sind. Als Belgien durch die
Deutschen besetzt wurde, brachten verschiedene Zeitungen
die Nachricht, der Genter Altar sei mit noch anderen bild-
lichen Kostbarkeiten der Stadt nach England in Sicherheit
gebracht worden. Die Kunstfreunde werden nun mit Inter
esse vernehmen, dass dem nicht so ist, dass das Meisterwerk
wohl verwahrt und bewacht auf belgischem Boden sich be-
findet, und dass es vielleicht gerade der Umsicht der deut
schen Zivilverwaltung in Gent zuzuschrei'oen ist, wenn der
Altar die Reise nach England nicht gemacht hat. Durch
Androhung einer hohen Kontribution, die der Versicherungs-
summe vom Kunstwert des Altars entsprach, hat die deutsche
Zivilverwaltung die kirchliche Verwaltung gezwungen, das
Versteek zu verraten. Wie Brüssel ist auch Gent kampf-
los in den Besitz der Deutschen gelangt, und nichts ist
beschadigt oder gar zerstört.
in Belgien
Die Sterne Flanderns schauen
Aus Wolken trüb und schwer
Auf kampfzerwühite Auen,
Auf Stadte, stumm und leer.
Die Sterne Flanderns sehen
In kalter Regennacht
Auf stürmende Armeen,
Auf Tod und Vöikerschlacht.
Die Sterne Flanderns scheinen
Auf Graber stil! im Sand.
Wieviele Miitter weinen
Daheirn im Vaterland
Lorenz Krapp (im Feide).
(Aus dem Simplizissimus.)
Fünf Tage nacii Englands Kriegserklarung an Deutsch-
land, so berichteten die Times als es gewiss war, dass
Deutschland blockiert werden würde, unterbreitete Herr Dr.
Walther Rathenau dem damaligen Kriegsminister v. Falken-
hayn einen Plan, wie man die britische Blockade unwirksam
machen könne. Der Plan sah „die Reorganisation der riesen-
haften Industrie Deutschlands vor, sowie die Bildung
eines neuen Konzerns, des grösster. in der Geschichte der
Welt Die Verwirklichung der Rathenauschen Plane sollte
Deutschland, obwohl es von der Einfuhr abgeschnitten war,
die Fortsetzung des Kampfes auf unbegrenzte Zeit ermög-
lichen. Die Plane wurde geprüft, für gut befunden und ihrem
Urheber vier Raume im Kriegsministerium zur Verfügung
gestellt.
Mehr als irgend ein Krieg in der Vergangehheit so
schreiben die Times", ist dieser ein Krieg des Materials.
Der menschliche Faktor ist die eine Halfte, der materielle
Faktor die andere. An Rohmaterialien ist Deutschland nicht
reich. Es erzeugt Eisen, Kohie, Zink und Petroleum, sonst
wenig. Und zum Krieg 'oenötigt man 200 Rohstoffe. Dr.
Rathenau hat an die Möglichkeit gedacht, dass der Krieg
Jahre dauern könne. Er glaubt, dass bei dem deutschen
Organisationstalent Deutschland von der Einfuhr unabhanig
gemacht werden kann. In diesem Falie würde das blockierte
Deutschland den Krieg ohne eine auslandische Schuld been
den, wahrend das blockierende England für seine standigen
Kaufe im Ausiande den Gegenwert bar zu zahlen hatte. Auf
diese Weise ergabe sich am F.nde des Krieges die ganz aus-
serordentliche, widerspruchsvolle Erscheinung, dass der
Blockierende arm, der Blockierte finanziell stark sein würde."
Das Bfatt berichtet dann, dass die Organisationsarbeiten
sofortin Angriff genommen wurden. In welcher Weise solches
geschah, würde ein Aussenstehender nie erfahren es ware
natürlich ein wertvolles Staatsgeheimnis. Aber die Wirkung
sei bekannt80 Prozent aller deutschen Industrien wurden
ganz oder teilweise Kriegsindustrien. Heute gabe es in
Deutschland kaum ein Drittel aller Fabriken, die nicht aus-
schliesslich für das Kriegsministerium arbeiten.
Besondere Schwierigkeiten bot die Lösung derRohstoff-
Frage. Drei Wege standen offen. Die Beschaffung der benö-
tigten Rohstoffe in den besetzten feindlichen Gebieten. Einfuhr
von Rohstoffen durch neutrale Lander. Schliessiich das
Auffinden bisher unbekannt gebliebener deutscher Quellen
sowie die Entdeckung von Ersatzstoffen durch die deutsche
Wissenschaft. Ungesaumt ging man aus Werk, und es war
überraschend, zu sehen, wie reich Deutschland mit Rohstof
fen versehen wurde, die bisher an dunklen Orteu verborgen
gelegen batten und nun an das Licht des Kriegsbedarfs
gezogen wurden.
Was die grosse Metalisammiung anbetrifft, die alsbald
im Lande veranstaltet wurde, so steilte sich heraus, dass
Deutschland allein in Dachern, Gebauden und Fabriken Mil-
lionen von Pfund Metalle besitzt, die jederzeit in Kriegs-
munition umgewandelt werden können. Bis zum heutigen
Tage sind nur 2 v. H. der Metallvorrate Deutschlands ver-
braucht worden Sie reichen noch auf Jahre hinaus. Für die
Stoffe aber, die Deutschland fehlen, wurden Ersatzstoffe
entdeckt. An die Stelle von Kupfer und Zinn traten Stahl und
Zink. Gewisse Textilstoffe wurden durch neue AAaterialien
ersetzt. Statt des bisher eingeführten Salpeters wurden
durch chemische Prozesse Nitrate aus der Luft gewonnen.
Kurzum die Notwendigkeit, die Mutter der Erfindung,
hatte bald eine sehr zahlreiche Nachkommenschaft. Das