Meine Eriebnisse im 9. Lothr. Inf.=Regiment 173.
Flucht und Rückkehr.
Merkwürdigste aber war, dass die Ersatzstoffe in vielen
Fallen sich als wertvoller herausstellten als die urspriing-
lichen Stoffe. Zahlreiche, früher aus teurem eingeführten
Material hergestellte Artikel werden jetzt aus billigem
Material, an dem Deutschland Ueberfluss hat, verfertigt. Die
deutsche Industrie hat aus dem Kriege die wertvollste Lehre
gezogen.
Rathenaus phantastisch scheinender Plan ist zur Wahr-
heit geworden. Deutschland behalt seinen Reichtum im
Hause. Die Blockade hatte nur das Ergebnis, ihn im Lande
zu konzentrieren, wo er von der Regierung zur Industrie, von
der Industrie zum Volke, vom Volke zurück zur Regierung
strömt. Am Ende des Krieges wird Deutschland kaum mit
einem Pfennig an das Ausland verschuldet sein. Und Eng
land Es kauft im Auslande Werte von Milliarden. Die Be-
zahlung dieser ungewöhnlichen Kaufe kann weder in bar,
noch im Wege des Exports geschehen. Der ganze Metall-
reichtum Englands würde kaum ausreichen, urn seine Drei-
monatswechel einzulösen. England geht aus dem Kriege mit
einer schweren Verschuldung an das Ausland hervor. Die
Beherrschung der Meere wird sich als ein höchstkostspieliger
Ruhm erweisen.
Obige Schilderung, so schreiben die Times in
elegischem Tone, wurde von einigen Leuten der City als zu
rosig angesehen. Im grossen und ganzen aber wurde sie als
eine wahre Darstellung zum mindesten der ausseren Lage
der Dinge hingenommen. Denn in seinen grossen Linien ist
der Bericht von amerikanischen Geschaftsleuten bestatigt
worden, die im Interesse ihrer Firmen Deutschland in den
letzten zwölf Monaten zu Hunderten besucht haben. Die
starke wirtschaftliche Lage Deutschlands wurde von dem
Inhaber eines Cityhauses als eine der grossen Ueberra-
schungen des Krieges bezeichnet.
Blatter aus der Kriegsgeschichte der Stadt Aalst.
1. Die Flucht nach Aegypten.
Wenn man einen der Einwohner von Aalst bittet,
doch einmal zu erzahlen, was es mit der sogenannten
k Flucht nach Aegypten auf sich hat, so geht ein vergnüg-
liches Schmunzeln über sein Gesicht. Es muss ja auch ein
toller Anblick gewesen sein, der sich am 24JL1Q14, gerade
als sich die Bewohner der Stadt an den Mittagstisch setzen
wollten, ihnen bot. Auf den verschiedenen Wegen von Osten
und Süden her walzte sich ein unabsehbarer Zug von
Flüchtlingen in wildester Hast durch die Strassen. Erst
kamen tausende und abertausende von Mannern, viele bar-
fuss oder nur mit einem Strumpf und Schuh bekleidet, in
Hemdsarmeln, barhauptig, ihr Arbeitsgerat, eine Sage, einen
Spaten u. s. f., in der Hand. Dann mischten sich auch jam-
mernde Frauen und Madchen, erschreckte Kinder, die sich an
den Kleidern festhielten, dazwischen, Wagen mit ganzen
Familien beladen jagten in Eile vorwarts. Was war ge
schehen Vor welchem Entsetzlichen, Gewaltsamen flohen
diese Menschenmassen wie wahnsinnig davon Fragte man
einen der Vorbeieilenden, so wusste er in der Regel nicht
mehr zu sagen als De Duitschers de Duitschers und
rannte weiter. Erst spater hat sich die ganze Torheit dieser
Flucht gezeigt.
Im Dorfe Pamel bei Ninove hat sie begonnen. Deutsche
Soldaten wareiTms Dorf gekommen, urn irgend etwas zu
requirieren Hat sich nun da ein Bauerlein gegen die Fort-
nahme seines Eigentums gestraubt, so dass ihn die Soldaten
etwas derb angefasst haben und schliesslich sogar auf ihrem
Wagen mit Gewalt fortführten, oder so wird es auch
erzahlt sollte ihnen der Mann gezwungenermassen als
Führer im Dorfe dienen Auf jeden Fall haben sie einen
Mann aufgegriffen und mit sich geführt, sicherlich ein im
Kriege ganz alltagliches Ereignis. Aber die Bauern Pamels
verstanden es anders. Irgend einem kam plötzlich der Ge-
danke, dass der von den Soldaten festgenommene Mann
doch nun sicher nach Deutschland gebracht werden würde.
Ein anderer spann den Fadenschnell fort: Deutschland hatte,
die Zeitungen sagten's taglich, in den bisherigen Kampfen
ungeheuere Verluste. Wie wollte man die ersetzen können,
wenn man nicht auch aus Belgien die wehrfahigen Manner
herausholte. Und nun feierte Frau Fama eine ihrer wildesten
Orgiën, sie rannte von Haus zu Haus und rief's in die Stuben
hinein, sie schrie's den auf den Feldern Arbeitenden zu
Die Deutschen fuhren die ganze mannliche Bevölkerung,
die über 16 Jahre alt ist, nach Deutschland und stecken sie
in ihr Heer. Rette sich, wer kann Ein Wahnsinn fasste
da die Massen. Wie sie gingen und standen, machten sie
sich auf, weiter und weiter dem rettenden Norden zu. Von
Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt walzte sich der Zug,
lawinenartig anschwellend, überall das gleiche Entsetzen
verbreitend. Die überhitzte Phantasie arbeitete weiter und
erfand immer neue grauseliche Geschichten. Man wahnte die
Verfolger schon in unmittelbarer Nahe. Jongens, jongens,
loopt, ze komen riefen aufgeregte Weiber den Fliehenden
zu. Die Menschenflut verliess die Strassen und ergoss sich
über die Felder. Da half kein Zureden der Vernünftigen. und
ruhig Gebliebenen De Duitschers De Duitschers
schrie man nur. Ja, was ist mit ihnen Ich weiss nicht."
Aber warum laufst Du so Weil die andern auch
laufen. Und weiter gings, bis man vor Erschöpfung nicht
mehr konnte und einfach niedersank. Manche Dörfer und
Stadte waren ganz leer. In Aalst blieb man etwas ruhiger,
aber die jüngeren Leute habetT sich auch auf die Socken ge-
macht oder mindestens ein Versteek aufgesucht. Selbst unter
Hobelspanen, in den Closetgruben, Cisternen und auf den
Dachern hat man sich verborgen. Der ganze südliche Teil
von Ostflandern mit den Nachbargebieten bis nach Gent
hinauf muss in Aufruhr und eine Menge von vielen Zehn-
tausenden auf sinnloser Flucht gewesen sein.
Am Abend desselben Tages schon spielte der Telegraph
nach Gent, Hoboken, Loochristi, Antwerpen u. s. w. Man
solle zurückkehren, alles sei falscher Larm gewesen. Und nun
walzte sich die Flut zurück, erst zögernd, dann aber in vollem
Strome auf den Landstrassen und in den Sonderzügen der
Bahnen, begrüsst von dem Spott derer, die ruhig daheim
geblieben waren. Noch tagelang spater kamen einzelne
besonders Aengstliche zurück. Viele aber hatten sich auch
über die hollandische Grenze in Sicherheit gebracht.
Das war die Flucht nach Aegypten ein Vorspiel zu
jener angstvollen. Flucht, die ein^paar Wochen spater unter
dem Gebrüll der Kanonen angetreten werden mussve und
die die ganze Stadt Aalst mit ihren 36 000 Einwohnern verö-
den liess.
Der Angriff auf Spincourt.
(Fortsetzung.)
Das A'ampffeld, welches von der Eisenbahn Conflans-Verdun quer
durchzogen ist, liegt noch imDunkeln vor uns, als Patrouillen melden, dass
der am Abend abgezogene Feind das Dorf Spincourt wieder besetzen
will. ATaum ist die Meldung bei unserer Artillerie angelangt, da setzt auch
schon mit unheimlichem Grollen das wilde Konzert der kanonen ein.
Lange Feuergarben zeigen uns den Weg der Geschosse. Von ihren
Blitzen lichtet sich die Landschaft. Bei aufgehender Sonne wird der all-
gemeine Angriff auf Spincourt befohlen. In unendlich langer Linie geht
es vorwarts. Schwarze Rauchwolken geben uns die Richtung an. Eine
Stunde spater ist das Dorf unser. Hier erst sehen wir, wie furchtbar
sicher beide Waffen, Artillerie wie Infanterie, gearbeitet haben. Die