Bilder aus dem Leben in der Etappe. grossen Salen einquartiert und verpflegt. So befanden sich in den Raumen des Festpalastes, wo jetzt die deutschen Leicht- kranken und Genesenden liegen, mehr als 5000 Menschen; auch die vielen Klöster öffneten ihre.Pforten und beteiligten sich an diesem Werk der Menschenliebe. Als nun noch immer neue Flüchtlinge, so vor allem aus Hamme, Zele u. s. w. angekamen, musste Platz geschafft und tausende von Alste- naren wurden in das Hinterland von Gent gebracht. Aber die Deutschen kamen nun auch nach Gent. Am 11. Oktober wurde das sich ihnen vor den Toren der Stadt 'bei "Quadrecht entgegen stellende belgisch-englische Heer geschlagen. Damals, so erzahlte mir ein Augenzeuge, gewann ich zum erstenmal die Ueberzeugung, dass unsere belgischen Soldaten von unseren englischen Bundesgenossen im Kampte vorgeschoben wurden. Die Englander waren die ersten, die die Flucht ergriffen und erst weit hinter Gent, als sie ausser aller Gefahr waren, Halt machten. Dann erst kamen unsere Soldaten, vom Kampte erschöpft, von Staub und Schweiss bedeckt, in zerrissenen schmutzigen Unifor men. Es war kein Zweifel, sie hatten die Hauptlast des erbitterten Streites tragen müssen." Gent selbst wurde den Deutschen kampflos überlassen. Da man nun auch hier mit den feindlichen Soldaten leben musste, entschloss sich die Mehrzahl der Flüchtlinge, wohl auch auf Anordnung der Genter Stadtverwaltung, nach 15 tagiger Abwesenheit in die Heimat zurückzukehren. Die Meisten machten sich sicher mit grosser Bangigkeit auf den Weg, denn was von den Greueltaten des Siegers erzahlt wurde, war fürchterlich. So einfach war die Reise, die sonst etwa 5 Stunden zu Fuss in Anspruch nimmt, nicht. Dje Menge, die an diesem Tage nach Aalst zurückflutete wird auf 20000 Menschen geschatzt. Ein jammerlich anzuschau- ender Zug. Leute, die mühsam ihre geretteten Habseligkeiten auf dem Rücken trugen, Alte und Gebrechliche, die oft auf einem Schiebkarren gefahren, Kranke und Lahme, die getra- gen wurden. Dazwischen Fuhrwerke aller Art. Junge Bur- schen, im wehrfahigen Alter hielten sich scheu zur Seite und verbargen sich im Zuge, denn auf der anderen Seite der Strasse zog an ihnen ununterbrochen ein feldgrauer Gegen- strom vorbei nach Gent marschierende.deutsche Soldaten, lachend und singend. Oft mussten die Flüchtlinge auf Befehl der deutschen Befehlshaber warten, einmal zwei Stunden lang, urn die nicht endenwollenden Abteilungen vorbeiziehn- zulassen. Mitleidig warfen dann wohl die Soldaten ihnen Flaschen mit Wein, Brot oder etwas Chokolade zu, aber nicht immer wurde die Gabe angenommen, man hatte noch zu vielen Groil gegen die Geber im Herzen. Am Wege sah man überall die furchtbaren Schrecken des Krieges. Die an der Strasse liegenden Hauser von Quat- recht waren wohl alle ausgebrannt und zerschossen, dTchter Rauch quoll aus ihnen empor. Viele Landleute waren auf militarischen Befehl damit beschaftigt, die noch überall herumliegenden gefallenen Soldaten zu begraben. Auf den verwüsteten Ackerfeldern lagen die aufgeblasenen Kadaver derdurch den Qualm erstickten Schweine und Kühe, anderes Vieh lief wild und herrenlos herum, es suchte Futter und selbst an den Strohdachern sah man Tiere gierig knabbern. Endlich war man wieder daheim, und die Meisten waren sicher verwundert, ihre Wohnung noch in so gutem Zustande vorzufinden, denn die wildesten Geruchte waren nach Gent gedrungen. Die Unordnung war bald beseitigt, das Abhan- dengekommene konnte und musste man verschmerzen, es war Krieg. Nun war man doch wieder in seinen vier Pfahlen, hatte wohl schon wieder die Glieder seiner Familie urn sich und sah wieder heller in die Zukunft. Am meisten durften einem die armen Haustiere leidtun, die man hatte zurücklas- sen müssen. Sie waren Hungers gestorben, falls es ihnen nicht gelungen war, doch noch hier und da einige Nahrungs- mittel zu erwischen, wie z. B. in einem Hause einigen Kaninchen, die sich zuletzt mit dem Stroh der Stühle am Leben erhalten hattèn. Wo aber Soldaten im Quartier gewesen waren, da hatten sie auch meistens für die Tiere ein mitleidiges Herz gehabt. h— 1. Auf dem Postamt. Neben den Feldpoststationen, die den betreffenden Truppenteilen unterstehen und auch nur militarischen Inter essen dienen, sind innerhalb des Etappengebiets der 4. Ar mee in Gent, Brügge, Kortrijk, Aalst, Sottegem und Aude- narde deutsche Postamter eingerichtet worden, die von der Postdirektion in Brüssel verwaltet werden. Es ist das ein weitgehendes Entgegenkommen gegen die belgische Bevöl- kerung in der Etappe, denn xliese Postanstalten sind auch für sie zuganglich. Natürlich sind ihrem Postverkehr engere Grenzen gezogen als im Gouvernement, so ist ein Versenden von Briefen nur nach Orten innerhalb Be.lgiens, Deutschlands und Oesterreich-Ungarns möglich. Sie dürfen nicht geschlos- sen sein und gehen erst durch eine Prüfungsstelle. Die ein- gehenden Briefe müssen am Schalter abgeholt werden, da es keine Brieftrager gibt. Von Zeit zu Zeit wird das Nichtabge- holte der Ortspolizei zur weiteren Uebermittelung an die Adressaten übergeben. Die Post fiir die Dörfer wird von den Landsturm-Radfahrern, die gleichzeitig die Befehle der Militarbehörde austragen, den betreffenden Bürgermeistern ausgehandigt. So ist es wenigstens in_ Aa[st. Auch sind Ein- und Auszahlungen auf Postanweisungen zugelassen. Besonders aber wird die Postanstalt für den Verkehr mit den in Deutschland befindlichen belgischen Kriegsge- fangenen benutzt. Die Bevölkerung ist in einer überaus traurigen Lage. Wahrend die Soldaten aller anderen am Krieg beteiligten Völker eine Verbindung mit der Heimat haben, ist sie für die Belgier nun schon seit mehr als einem Jahr zerrissen. Sie wissen nicht, wie es zu Hause steht, erhal ten keinen Zuspruch aus ihrem Vaterlande, keine Gaben der Liebe und Freundschaft. Wie unendlich hart das ist, können wir nachfühlen, denen der stete Zusammenhang mit allem, was daheim ist, zu einer reichen Quelle des Trostes und stillen Glückes geworden ist. Wie hart ist es auch für die Eltern, Frauen und Braute, die einen ihrer Lieben da vorn in den Laufgraben an dem Yzer wissen und nun von seinem Schicksal lange, lange nichts mehr gehort haben. Wie oft hat uns nicht eine Mutter mit Tranen im Auge den letzten Brief ihres Sohnes gezeigt, der aus den ersten Monaten die ses Jahres stammte und von Schmugglerhand glücklich an seine Adresse befördert war; aber dieser heimliche Verkehr ist nun schon seit vielen Monaten von den Deutschen un- terbunden worden. Auch eine der bitteren Notwendigkeiten dieses Krieges. Da man nun nicht den Söhnen des Landes, die an der Front stehen, seine Dankbarkeit und Liebe erzeigen kann, so wendet man sie den Kriegsgefangenen, mit denen man in Verbindung treten kann, in doppeltem Masse zu. Es müssen, nur aus der Etappe, taglich tausende Pakete nach Deutsch land gehen, denn zum Postamt in Aalst allein werden taglich mehrere hundert gebracht. Anfanglich zögerte man und traute dieser deutschen Einrichtung nicht so recht. Es war doch immerhin bedenklich, nach einem Lande, dessen Ein- wohner wie die engl.-franz. Blatter schrieben dem Hungertode nahe waren, ein paar Pfund des leckersten Schinkens zu senden. Aber allmahlich überzeugte man sich staunend von der Tatsache, dass fast alles in die rechten

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Landsturm | 1915 | | pagina 4