Die belgische Brieftaubenzucht
versammelt. Dass es hübsch übersichtlich und in geordneten
Reihen aufgestellt sein muss, wenn der Herr Inspektor die
Front abschreitet, haben die Belgier anfanglich nicht ge-
wusst, aber nun schon langst gelernt Das geeignet erschei-
nende wird herausgezogen, eine Liste aufgestellt und ein
Tag bestimmt, an dem es zur Bahnstation zum Abtransport
an die Front gebracht werden muss. Auch daran haben sich
die Leute hierzulande schon gewöhnt, dass namlich so eine
Anordnüng auch ausgeführt werden, dass also auch
wirklich das Vieh zur bezeichneten Stunde pünktlich da sein
muss. Was der deutsche Soldat als etwas Selbstverstand-
liches ausspricht Jeder Befehl ist heilig dem Belgier ist
es etwas Unfassbares. In der Nahe der Station alle die
Wege voll Vieh. Der Inspektor steht ander Gemeinde-Wage
bucht Gewicht und Qualitat und stellt dem Verkaufer
eine Beitreibungs-Anerkenntnis aus, die nach ein paar
Wochen von der deutschen Behörde prompt eingelöst wird.
Von dem Gewicht werden 5 v. H. abgezogen, da man das
Vieh vor dem Verkauf sich erst recht voll tressen lasst. Wie
sehr man mit den gezahlten Preisen zufrieden ist, beweist
der Umstand, dass dem Kommando sehr viel Vieh freiwillig
zum Kauf angeboten wird. Das gewogene Vieh wird zu den
vorgefahrenen Waggons getrieben, dort von einigen Muske
tieren in Empfang genommen und mit ein paar kunstgerech
ten Schlagen in den Wagen hineinbugsiert. Die Herren
Stiere werden mit besonderer Rücksichtsnahme behandelt,
sie erhalten ein Abteil für sich schon aus Schicklichkeits-
gründen. Auch Schweine werden mitverladen und eine ganze
Herde kleiner Ferkel. Sie sind für eine Masterei an der Front
bestimmt, die nach einigen Wochen an jede Kompagnie zwei
dieser sehr beliebten Geschöpfe abgibt. Sie können dort bei
den Speiseabfallen der Mannschaften, die auf diese Weise
eine nutzbringende Verwendung finden, ein ganz behagliches
Dasein führen, bis der grosse Tag heranrückt wo die fütternde
Kompagnie zur futternden wird, und auf Kosten der Gesund-
heit ihrer bisher so treu behüteten Pfleglinge ein teuto-
nisches Schlachtefest begeht.
Es wird sicher auch da vorn recht beifallig aufgenommen
werden,dass es trotz der ungünstigen Zeit noch möglich war,
ein paar tausend Eier aufzutreiben. Sie werden besonders
sorgfallig verstaut.
So, nun ist alles in bester Ordnung, der Transport, zu
dem das Beitreibungskommando einen Mann als Begleiter
stellt, kann abgehen. Der Wachtmeister scharft dem Mann
eindringlich ein, auf den Uebergangs-Stationen darauf zu
achten, dass der Transport zusammenbleibt, auch nötigen-
falls die Tiere zu tranken. Und mit weniger dienstlicher
Stimme fügt er hinzu Ausserdem, sollte Ihnen in der Feld-
schlachterei etwas Wurst angeboten werdener
braucht nicht zu vollenden Ich weiss, Herr Wacht
meister, ich schlage nichts ab, tönt es fröhlich zurück. Und
dann setzt sich der Zug in Bewegung. Wissen Sie, er-
zahlt mir der Herr Wachtmeister auf dem Heimwege, „die
belgische Wurst ist ein Sauzeug, da esse ich schon lieber
keine Aber-übrigens wir haben noch ein Restchen Front-
wurst daheim, wie war's...? Nun ich kann bezeugen, dass
die Wurst aus der Feldschlachterei wirklich ganz vortrefflich
schmecktefast wie bei Muttern. h—
Ueber die belgische Brieftaubenzucht brachte vor kurzem
der Düsseld. General Anzeiger einen jdeineren Aufsatz,
dem wir folgendes entnehmen
Bei samtlichen kriegführenden Machten hat die Brief-
taube eine ausgedehnte Verwendung gefun-
den. Sehr bedeuterid war ihre Rolle besonders in Belgien zu
Anfang des Krieges und das aus gutem Grunde, denn Belgien,
in dem sich das gigantische Ringen entwickelte, hat unzwei-
felhaft in der Brieftaubenzucht lange die allererste Stelle
eingenommen. Die Verbreitung der belgischen Brieftauben
zucht erkennt man schon beim Durchstreifen der belgischen
Ortschaften an den zahlreichen Wirtshausschiidern, die
Bezeichnungen nach Tauben führen, wie Au Colombo-
phile In de Reisduifusw. In den letzten Jahren ver
mochte Deutschland freilich mit Belgien in erfolgreichen
Wettbewerb zu treten und in mancher Hinsicht, so beson
ders in der Schönheit der gefiederten Boten, das Mutterland
der Brieftaubenzucht zu überflügeln. Aber in der A us-
dehnung der Brieftaubenzucht oder rich-
tiger des B r i e f t a u b e nsports konnte Deutsch
land keinen Vergleich mit Belgien be
st e h e n
Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass in Belgien
die Brieftaube genau so eine nationale Einrich-
t u n g ist, wie in Spanien der Kampfstier, im Orient der
Kampfhahn, in England das Vollblutpferd. In dieser Vorliebe
für Brieftauben gibt es weder zwischen Klassen, noch zwi-
schen Rassen einen Unterschied. Arm und reich, Wallonen
wie Vlamen, alle huldigen diesem Sport mit gleichem Eifer.
Selbstverstandlich ist infolge dieser gewaltigen Verbreitung
die Brieftaubenzucht eine reiche Erwerbsquelle für das Land
geworden. Millionen wurden in ihr jtihrlich angelegt, und
ebenso stieg der Handel mit den Brieftauben in die Millio
nen. Nach allen Landern gingen die belgischen Brieftauben,
die den Weltmarkt beherrschten, bis nach Afrika, nach
Indien und in den letzten Jahren auch stark nach Japan.
Zahlreiche Gewerbe hingen von der Brieftaubenzucht ab,
waren sogar durch sie ins Leben gerufen worden. So wurde
ein reger Handel mit dem Taubenfutter betrieben, das in
Form von Taubenbohnen grösstenteils aus Holland, ferner
auch aus Königsberg, das die Taubenwicken lieferte, einge-
fiihrt wurde. An der Anfertigung von Fussringen und Tau-
bentransportkörben für die Brieftauben arbeiteten grosse
Fabriken. Ein ganz besonderes Gewerbe hatte sich für die
Herstellung der Kontrolluhren herausgebildet, jener Zeitmes-
ser, die für die Prüfung der Leistungsfahigkeit der Tauben
notwendig sind und die bis zu 150 Franken das Stück kosten.
Da zahlreiche kleine Züchter diese Ausgabe nicht machen
konnten, wurde mit diesen Kontrolluhren auch ein sehr aus-
gedehntes Leihgeschaft betrieben.
Die Brieftaubenzucht reicht in Belgien z i e m 1 i c h
weit zurück. Man findet schon zu Anfang des vorigen
Jahr'hunderts Nachweise über eine intensive Aufzucht von
Brieftauben in Flandern wie in Wallonien. Früher gab es
drei streng geschiedene Arten von Brieftauben, die nach den
Stadten Antwerpen, Brüssel und Lüttich benannt waren. Im
Laufe der Jahre haben sich diese drei Schlage vermischt, und
heute wird zwischen ihnen keine Unterscheidung mehr ge
troffen. Dagegen gibt es Familien von Tauben, die sich eines
besonderen Rufes und daher auch sehr hoher Preisstellungen
erfreuen. Sie führen ihre Namen nach ihren Züchtern. Unter
diesen hoch gezüchteten Stammen sind hervorzuheben
Gids und Randaxhe aus Antwerpen, Bastin und Gournay aus
Verviers, Pirlot aus Lüttich, Jansens, Missiaen, Wielemans,
Smaelen aus Brüssel, Albert de Gandt aus Dottignies, Blon-
del und Coppens aus Wareghem, Putmann aus Kortrijk, Van
den Bossche und De Mulder aus Gent, Armand Thiry aus
Huy. Manche Exemplare dieser durch Zuchtwahl geschaffe-
nen Familien erzielen erstaunliche Preise. Es gibt Beispiele,
dass ausgewahlte Tiere dieser Familien bis zu 2000 und
selbst zu 3000 Franken das Stück bezahlt wurden. Die Vor
liebe der Belgier für die Taubenzucht hat indessen auch