Weihnachten in Flandern. Die Wirtschaftskultur Belgiens. von dem heiligen Ernst und dem Leid der Zeit. Der Landsturmmann fahrt aus seinen Sinnen auf. Ein Gerausch drang zu ihm aus dem Tunnel. Ganz, ganz hinten tanzt ein Lichtlein in dem dunkeln Gang hin und her. Wohl die Pa trouille der Eisenbahner, die die Strecke abgehen. Die Ker- zen im Schilderhause sind schon fast heruntergebrannt. Der Mann löscht sie aus, kein Wort eines Fremden soli ihm in seine stille Feier hineinsprechen.Die Schritte kommen naher. Halt, werda Es sind die Eisenbahner. Fest in ihrem Mantel eingehüllt, jeder eine Laterne in der Hand, das Signalhorn an der Seite, das Gewehr, an dem die aufgerollte rote Fahne befestigt ist, auf dem Rücken, kommen sie naher. Guten Abend, KameradGuten Abend. Goed weder vandaag Ja, es ist gutes Wetter. Das ist nun Weihnach- ten Tristig, was „Gewiss, es ist traurig „War da vorhin nicht ein Licht vor dem Tunnel?" Ja, hier war ein Licht in meinem Herzen hatte der Landsturmmann fast hinzugefügt). Na, denn mag's gut Und weiter gehen die beiden der Stadt zu. Wieder ist alles stilly und wieder wan- dern die Gedanken des Mannes in die Ferne. Aber nach Hause finden sie so recht nicht mehr den Weg. Sie sind bald hier, bald da. Bei Verwandten und Freunden, daheim und draussen im Feld, sind bei Gegenwartigem und Zukünftigem 1 Alte Erinnerungen werden wach, die eigenen Kinderweih- nachten stehen vor ihm. Wie hat er klopfenden Herzens den Klang der Schelle erwartet, die riefDas Christkind ist dagewesen, kommt heraufUnd wie schnell gings dann die Treppe hinauf in das kerzenhelle Zimmer. Und spater ging er dann gern hinein in die Weihnachtsnacht, die ihm so unendlich geheimnisvoll und feierlich war, in der der liebe Gott selbst den strahlenden Lichterbaum am Himmel ent- ziindet hatteGerade wie heute hier in Feindesland. Ach, das hat er noch gar nicht gesehen, wie festlich klar der Himmel ist und wie fröhlich die Sterne auf die Erde herab- sehen und haben ihr hellstes Festtagskleid angezogen Und nun Aus dem Dunkel des Tales herauf suchen einzelne Klange den Weg zum Licht in der Höhe. Das Glok- kenspiel vom Turme der Stadt erhebt seine Stimme, immer reiner und voller, immer heller und jubelnder singt es die Weise. Und der einsame Landsturmmann faltet seine Hande über dem Gewehr und schauernd dringt es ihm ins Herz wie der alte selige Engelsgesang auf Bethlehems Gefilden den Hirten Frieden, ja Frieden auf Erden Aber schon mischt sich ein anderes in die silberne Glockenmelodie ein dumpfes Grollen in der Ferne. Unheimlich tont es durch die Stille, wie ein aufsteigendes, böses Wetter. Das ist die Stimme der Heere, die im Südwesten einander gegenüberlie- gen, die grausame unerbittliche Stimme des Krieges, die Brand und Mord über die Welt schreit. Die Glockentöne sind langst verstummt, aber das Drohen und Rollen wird starker und starker. Wieviele Lichter löscht der harte Tod nun wieder aus in dieser Weihnachtsnacht Lichter des Lebens, Lichter der Liebe, Lichter der Hoffnung. Wie trostlos dunkel wird mancher Lebenspfad. Nun fahrt ein langer Arm über den Himmel, hinauf und hinunter und wieder hinauf. Das Licht des Scheinwerfers. Was fragt es nach der festlichen Helle des Sternenhimmels, es bahnt sich einen Weg durch das Dunkel der Nacht, es sucht den Feind, es fiihrt den Tod. Landsturmmann Was traumst Du von Giück und Hei mat, von Kindern und Frieden Ein wilder Kriegsbrand braust in feurigen Flammen über die Welt. Was traumst Du Auch Du stehst mittendrin, Feinde ringsum, halt treue WachtDer Mann fahrt sich mit der Hand übers Gesicht, fester zieht er sein Gewehr an sich. Wie weit ist er fort gewesen, weit in ferne Heimat und Jugend und musste doch hier sein mit allen Sinnen, hier am Tunnel in Flandern, den er schützen soil, und nirgends anders. Doppelte Wachsam- keit ist für diese Nacht befohlen, die geladenen Gewehre stehen bei dem Christbaum, und verstarkte Patrouillen strei- fen die Strecke ab. Wer darf nun weich sein und traumen. Auf blutgetrankten Feldern würgt der Hass unter den Vólkern, und die Tücke und Rachelust lauern im Dunkeln. Landsturmmann, halt gute Wacht s. Wohl werden wir die Weihnachtskerzen ziinden, Doch schallt kein Gruss dazu aus Glockenmunde, Ein dumpfes Grollen in der weiten Runde Will Krieg auf Erden drohend uns verkünden. Wohl werden wir die Weihnachtskerzen zünden, Und alle tun, als ob wir still uns freuten, Doch jeder weiss die Stille wohl zu deuten, Ein Schmerz wühlt in der Seelen tiefsten Gründen. Was soil es auch Es mischt in unser Singen Sich nicht der Kinderstimmen helles Klingen, Wir sehn nicht ihrer Augen Glanz und Leuchten, Und wissen, dass daheim zwei müde Hande Sich falten Wann, Herr, wann ist dies zu Ende Und dass sich liebe Augen heimlich feuchten. s. Schluss. Schule und Kirche. Die oben angedeutete niedrige Volksbildung ist ein schwerer Mangel des geistigen Lebens in Belgien und ein Hindernis des Aufstiegs der Ar- beiter. Belgien war ohne Schulzwang. Die Zahl der Analpha- beten schwankt zwischen 20 und 39 Prozent. Jede Gemeinde muss zwar für den 6jahrigen Schulunterricht eine Volks- schule einrichten aber die Schulaufsicht des Staates er- streckt sich auf den Religionsunterricht, den nur Geistliche erteilen oder beaufsichtigen, überhaupt nicht und ist im übrigen nur anwendbar, wo der Staat zu den Schullasten beitragt, fallt also bei den vielen geistlichen Schulen fort. Die Kampfe der klerikalen mit den freisinnigen Parteien drehen sich daher zuerst urn die Schule. Bisher ist diese dabei die Leidtragende gewesen, und zwar steht das Schul- wesen derartig unter den katholischen Orden, dass die allgemeine Volksschule sehr zurückgedrangt wurde. Diese Entwickelung beförderte das 1885 erlassene Schulgesetz. Auf Grund dieses Gesetzes wurden von 1933 Staatsschulen 877 geschlossen, dagegen 1465 geistliche Schulen als öffent- liche Schulen anerkannt. Die Kinder haben 186 Schultage und 179 Feiertage. Zugleich ist die katholische Kirche in Belgien von jeher der Herd der Werbetatigkeit für Frankreich, und zwar für den französischen Royalismus, gewesen. Was das bedeu- tet, wird man nach den soeben gemachten Mitteilungen über die Schulverhaltnisse ermessen können. Noch wichtiger freilich ist es, dass fast samtliche Seminare, in denen die Lehrkrafte, mannliche wie weibliche, ausgebildet werden, von der belgischen Kirche abhangen, Gründungen der Kirche sind. Vor etwa 10 Jahren war bereits das Verhaltnis der in den staatlichen Seminaren ausgebildeten Lehrkrafte zu den in kirchlichen Seminaren erzogenen 1:5; d. h. wahrend etwa 800 Lehrer und Lehrerinnen aus staatlichen Seminaren hervorgingen, kamen in derselben Zeit über 4000 aus den geistlichen Instituten. Und heute hat sich das Verhaltnis

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Landsturm | 1915 | | pagina 3