11. Januar 1916
Landstlirmers Briickenwacht
Ein Neujahrsgeschenk fiir die Vlamen.
AALST (Belgien).
Tage- und tage- und tagelang,
Endlos wie herbstlicher Vogelflug,
Gleitet liber den Schienenstrang
Zug um Zug, Zug um Zug
Tage- und tage- und tagelang
Schallen die Lieder deutscher Soldaten.
Siegesklang Sterbegesang
Rollt der Zug sie herrlichen Taten,
Führt er sie friihem Tod entgegen
Dennoch Lachen und Sonnenschein
Klingt's nicht auch wie ein Gottessegen
Lieb Vaterland, magst ruhig sein
Zug um Zug. Ich lausche. Die Hand
Halt das geladne Gewehr umspannt.
Ich steh' und schaue. Zug um Zug
Tage- und tagelang tönt der Gesang
Bin ich zu etwas doch gut genug?
Die Briicke schiitzen... den Schienenstrang,..
Mein Kaiser braucht mich zu anderem nicht
Landsturmmann tu hier deine Pflicht
Denen, die bald im Wetter stehn,
Schirme den Weg, dass sie sicher gehn
Tage- und tage- und tagelang,
Endlos wie herbstlicher Vogelflug,
Gleitet überden Schienenstrang
Zug um Zug... Zug um Zug...
Franz Liidtke.
Allen den Vlamen, denen es wirklich Ernst ist mit der
Treue zu ihrem Volkstum, konnte kein schöneres Neujahrs
geschenk zu Teil werden als das, was ihnen durch die Ini
tiative des General-Gouverneurs von Belgien, Excellenz von
Bissjng, gegeben wurde. Der General-Gouverneur hat nam-
lich angeordnet, dass in dem Staats-Haushalt des Jahres
1916 diejenigen Summen eingestellt werden sollen, die
zunachst erforderlich sind, um die Umwandelung der Univer-
sitat Gent in eine vlamische in die Wege zu leitenWeiter
sollen diefür die Neugestaltung des Unterrichts notwendigen
organisatorischen Massnahmen von fachkundiger Seite vor-
bereitet und in Angriff genommen werden. Die Vlamen sol
len also ihre erste Hochschule erhalten.
Das bedeutet melir, als es auf dem ersten Blick
erscheint. Seit Belgien 1830 sich mit Hilfe der Franzosen
von dem vlamischen Bruderlande, Holland, getrennt hatte,
geriet es immer mehr unter französischem Einfluss.Trotzdem
weitaus mehr als die Halfte der Bewohner niederdeutscher
Abstammung waren, kam als Sprache der Behörden das
Französische zur Herrschaft, französisch war Trumpf in
Schule und Staat. Wer nicht französisch sprach, war an
massgebenden Stellen nicht zu gebrauchen. Wohl oder übel
musste daher der Vlame, der es in seinem Vaterlande zu
etwas bringen wollte, die französische Sprache erlernen. Mit
der Sprache aber drang auch französische Art ins Land, und
nur allzu schnell vergass man Muttersprache, vlamischen
Brauch und vlamische Sitte und beugte sich vor der angeb-
lich überlegeneren Kultur des Franzosen, vor seiner höheren
Eleganz und feineren Gesittung. Immer aber gab es, wenn
auch anfangs nur wenige, volkstreue Manner im Lande, die
die Fahne des Vlamentums hochhielten. Sie erkannten mit
gutem Blick, dass wer im Staate die Macht haben wolle,
auch die Hochschulen des Landes in seiner Hand haben
müsse. Denn durch die Hochschule muss ja ein Jeder hin-
durch gehen, der sich einen Platz in den leitenden und ein-
flussreichen Stellen der Staatsregierung erringen will.
Solange die Hochschulen französisch-wallonischen Geist
einimpften, so lange mussten auch die obere Beamtenschaft
und die gebildeten Teile der Bevölkerung diesem Geiste
unterworfen sein, in diesem Geiste das Land verwalten und
auf die anderen Klassen des Volkes einwirken. Deshalb
wurde von vlamischer Seite schon 1840 die Forderung auf
Errichtung eines höheren Unterrichts in vlamischer Sprache
erhoben. Sie wurde natürlich wie alle ahnlichen spateren
Antrage von der Regierung abgelehnt. Erst jetzt ist mit der
Verordnung des General-Gouverneurs der erste Schritt getan,
um die alten und berechtigten Wünsche der Vlamen auf
schönste zu erfüllen.
Welches Interesse, aber hat nun, so fragen wir, die
deutsche Verwaltung an der Erstarkung des Vlamentums
Ein sehr grosses. Das Schicksal des Telgischen Landes mag
werden, was es will, aber es liegt im Lebensinteresse unseres
Vaterlandes, zu verhüten, dass hier sich wieder französischer
Einfluss breit macht und Boden gewinnt. Wir werden unse-
ren Fuss nicht wieder von dem Boden Belgienszurückziehen,
wenn nicht Garanden dafür geschaffen sind, "dass es
vor allem kulturell einen Damm gegen Frankreich und das
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