Aus unseren Tagen. Unsere Verwundeten. Deutsche Kinder. 6-9 Fr. in der Woche. Die Kinder, die an der Verarbeitung des Tabaks mithelfen, sind 8, 6 und 4 Jahr alt. 2. B i 1 d. Zu Mecheln. Kinder, die das Stroh fuer die Stuhlflechter bearbeiten, verdienen 5 Centiemen I Pfg.) in der Stunde, manche auch nur 8 Centiemen fuer den Tag. Sie sind 9, 8, 7 und 6 .Tahre alt. 3. Bi ld. Eine Witwe in Ronse, Leinenarbeiterin, mit 4 Kindern, von denen das juengste 6 Jahre alt ist. Alle Kinder arbeiten mit. Nach 14 stuendiger Arbeit bat die ganze Familie 1 Frank verdient. Letztes Bi ld: Ich habe ein Kind gesebn von 4 Jahren, das schon 6 Monate mitarbeitete. Es musste einen Eisendraht an einer brennenden Kerze erwaermen. Diese staendige Arbeit hatte die zwei Finger, mit denen der Draht gehalten wurde, ganz gelaehmt. Also 4 Jahr alt und schon ein Opfer der Arbeit (Im Lazareltzuge.) Aus Baracken an der Bahn, darin sie gut aufgehoben waren, aus schlimmen Bauernwagen, mit denen sie halbtot ankamen, aus Krankenautos, die aus der Stadt vorfuhren, hatten wir wieder unsre Gaeste erhalten. Wie viel Tapfer- keit, wieviel edelster Heldenmut und stiller Kampf liegt noch h i n t e r den Schlachten Jeder ein Schicksal fuer sich, jeder besonders und besonderer Liebe wert und doch alle zusammen das Volk in irgendeinem Wesentlichen einig und einheitlich. Der blonde, feine, fast, zarte, gescheite Werftarbeiter von der Wasserkante hat sich mit einem Rueckenschuss noch iuenf Meter Laufgraben gewuehlt, wozu er eineinhalb Stunden brauchte, um in Sicherheit zu kommen. Wie ihm das moeglicb geworden sei Mein Gott wenn der Tod hinter einem steht Der Friese bat immer wieder dieselbe Erzaehlung wie ihn zwei brave Jungens mit hoechster eigner Gefahr aus dem Feuer brachten. Ich waere elend umgekommen. Die braven Kerle Er weiss nicht einmal, wie sie heissen. Neben dem ganz stillen Schwaben liegt ein beweglicher Berliner. Er macht, sich und den andern zur Erleichterung, eine Menge bescheidener Witze: schliesslich ist es noch nicht sicher, ob er den rechten Arm je wird wieder brauchen koenpen, und mit dem Heiraten, das er vorhatte, wird dann wohl nichts, und so ist's doch gut, wenn man sich fuer alle Faelle ein wenig Galgenhumor anschafft. Er wird dabei eifrig unterstuetzt von einem aelteren Maerker, einem Mueller, der ihn andauernd erzieht Ein ordnendes Element im Wagen, eine von jenen praechtigen altbaeue- rischneubuergerlichen Naturen, die unsbr Heer zu einem so wundervollen Organismus machen. Er hat das Eiserne Kreuz, aber gleich im Anfang bekommen Mansctztdas ausdruecklich hinzu, wenn man sagen will, sehr schwer verdient. In einer Ecke liegt ein kleiner stiller Elsaesser, dem ein Bein abgenommen wurde. Ich hoere nicht ein Wort der Klage von ihm, er diktiert eine gaenzlich unverfaengliche Karte nach Hause es geht mir besser Nur einmal zeigt er mir wehmuetig sein Bild mit seiner Braut, auf dem erfreilich juenger und frischer aussieht. Erkennen Sie mich wieder fragt er. Ob sie mich wiedererkennen wird meint er, ohne es auszusprechen Ein anderer, dem auch das Bein abgenommen werden muss, liegt schon auf der Bahre, die ihn waehrend eines kurzen Aufenthaltes zum Operationswagen bringen soil. Lebensgefahr droht, die Arzte warton ungeduldig der blasse junge Mensch aber schreibt mit muehsamor schwerer Hand erst einen Brief zu Ende, unbeirrt, als waere er allein mit dem Empfaenger des Briefes, sorgfaeltig erwaegend, gewissenhaft bis zur Namensunterschrift. Dann schliesst er den Brief, reicht ihn herueber, legt sich zurueck und ist be reit. Ein Pole dazwischen bietet ein seltsam andersartiges Bild. Er ist schwerer als die andern verwundet, der arme Teufel bat einen frischen Lungenschuss und roechelt oft recht verzweifelt. Er spricht viel und aufgeregt. Das ist schlecht Was denn Fuer Arbeiter Brusl- schuss Er ist seltsam freind und hilflos in seiner Not. Es ist, als fehlte mancher Trost und Halt, den sonst alle haben. Er leidet mehr, aber er beherrscht sich auch weni- ger. Der ganze Wagen nimmt Ruecksicht auf ihn, er be merkt es nicht und verlangt noch mehr. Einmal langt er gierig nach einer Hyazinthe, die wir ihm hingestellt haben. Er bricht die Blume fast, so leidenschaftlich vergraebt er sich in ihren Duft. Mit dem Blüetenstempel ueber seinem Gesicht schlaeft er fuer ein Weilchen ein. Armer Kerl sagen die andern, denen es selbst nicht sehr gut geht Aber sie haengen nicht lange ihrer Traurigkeit nach. Ein dritter Amputierter sagt Wenn ich jetzt in der Heimat bin, lass ich mir ein schoenes Holzbein machen, und den ersten Tanz tanz' ich mit Ihnen, Schwester Wie sie andaechtig wurden, als wir wieder durch Deutschland l'uhren. Irgendwo riefen Kinder dem Zuge zu. Und Morgenglocken klangen. Wieder Glocken deutsche Kinder Nach fuenf Monaten zum erstenmal Glocken und Kinder waren ihnen der bemerkenswerteste Heimat- gruss. Kleine Zuege, nur Gebaerden, eine Miene, ein Wort, eine Bewegung, die man nicht vergisst, weil sie nicht sobald wiederkehren kann in weniger ungewoehnlichen Zeiten eine unendliclie Fuelle von kleinen Andeutungen grossen Scliicksals, winzig im Verhaeltnis zum Ganzen und sie bedeuten doch, millionenfach in denselben Willen muen- dend. ein Stueck Weltgeschichte. Ein groesseres in unsern Zeiten als das Planen und Denken der abgesonderten Ein- zelnen. Alle Buben spielen jetzt Krieg, die kleinen Ivnirpse ebenso wie die grossen Quintaner und Quartaner. Alles, was sie hoeren und lesen von der Kriegfuehrung draussen in Feindesland, gibt ihnen Vorstellungen, die sie gern in Wirklichkeiten umsetzen moechten. Hatte doch schon vor kurzem gar eine Schar zehn- und zwoelfjaehriger Buersch- chen richtige Schuetzengraeben angelegt, in denen sie sich tapfer gegen den anstuermenden Feind verteidigten. Nur die Verteilung aller Rollen der kriegsfuehrenden Parteien ist nicht immer so einfach denn Deutsche wollen alle sein, zum Franzosen meld' t sich vielleicht noch hin und her einer, Russen und Belgier sind schwer zu haben, in Englands Sold zu Ireten ver weigert Jung-Deutschland durchweg. Das scheint ihm unter der Wuerde zu sein. Und gerade ohne Englands Gegnerschaft macht doch das ganze Kriegsspiel gar nicht den richtigen Spass. Als ich zufael- lig vor kurzer Zeit Beobachter auf solchem Kriegsspiel- platz deutscher Jugend war, erlebte ich etwas Ruehrendes bei dieser Verteilung der Rollen. Einem huebschen blonden Knaben wiesen die Kameraden von vornherein einmuetig den Deutschen zu. Hans darf immer Deutscher sein!" Dr. Ullmann, Entnommen aus dem Büchlein An der Ost- und Westt'ront

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Landsturm | 1916 | | pagina 7