Nr. 27
21. April 1916
VORSICHT
Die zehn Gebote des Krieges.
AALST (Belgien).
Dies ist der Krieg, mein Volk, der dich herausge-
rissen hat aus Behagen und Stille, aber auch aus
Schlaffheit, Zweifelsucht und Uebersattigung.
Du solist keine andere Gedankenhaben neben ihm.
Denn dieses Krieges Not wird fortwirken bis ins dritte
und vierte Geschlecht, wenn wir ermatten, aber sie
kann Segen bringen bis in das zehnte Geschlecht, wenn
wir obsiegen und die erneuerte Welt auf deutsches
Wesen gründen.
Du solist des Krieges furchtbaren Namen nicht
missbrauchen, weder durch rohen Scherz, noch durch
irgend etwas Unwiirdiges in Bild oder Worten.
Gedenke des Friedens in deiner Seele, dass diese
Zuversicht dich heilige, wenn du der Gegenwart dienst
und ihre grausamen Werke verrichtest. Denn die Zu-
kunft set wie ein Festtag deinem Volke, Freistatt des
Fleisses und der Freude, fiir dich und die Deinen, für
alle sich redlich Mühenden, auch für den Fremdling,
der in deinen Toren wohnt.
Ehre Vater und Mutter, indem du die Heimat
beschiitzest, in deren Erde sie ruhen.
Du musst töten um des Lebens willen, das der
Vernichtung entsteigen soil.
Du solist nicht stehlen lassen, was deinem Volke
gehort.
Du solist Ehrfurcht haben vor Deutschlands Frau-
en sie oplern stumm und tragen ihr Leid ohne Klage.
Du solist kein falsches Zeugnis dulden wider dein
Volk.
Lass dich nie mehr gelüsten nach deiner N achbarn
Sitte, Unsitte, Sprechweise und Tracht, noch nach
irgend etwas, das nur für die Fremden gemacht ist.
Aber lass deutschen Geist auch künftig ausfliegen iiber
die Weit, durch Bildung machtig, stark durch Ver-
stehen und aller Vülker Köstlichstes einsammelnd in
die Truhen der Heimat.
In den Bahnhöfen und in vielen anderen von den
Soldaten besuchten Orten lesen wir Soldaten Vor-
sicht bei Gesprachen. Spionengeiahr Immer wieder
ermahnt die Oberste Heeresleitung in ihren Befehlen
Schreibt nichts von militarischen Angelegenheiten in
die Heimat Sie hat angeordnet. dass die Briefem-
pfanger, die Adressen vernichten sollen. Sie halt in
den Bahnziigen Civil und Militarpersonen getrennt,
und diese Trennungwird nun auch in den Wirtschaften
unserer Etappe durchgeführt.
Wie mancher unter uns halt diese Anordnungen
für überflüssig und meint Wir wissen ja selbst
nichts von Kriege, wissen nur das, was in den Zeitun-
gen steht, und das können die Belgier auch zu lesen
bekommen, wenn sie wollen. Also sind wir gar nicht in
der Lage, etwas verraten zu können, auch wenn wir
wirklich so ehrlos handeln wollten
Nun können wir aber zunachst einmal überzeugt
sein, dass die überste Heeresleitung oder das Armee
Ober-Kommando nichts UeberfUissiges und Unnötiges
anordnen. Zum andern aber handelt es sich gar nicht
um das,was wir vom Kriege aus den Zeitungen wissen,
sondern um ganz andere Dinge, um Bemerkungen, die
so nebenbei dir entschlüpfen, die du für völlig neben-
sachlich haltst und zudem für ganzlich harmlos. Aber
ein aufmerksam lauschendes Ohr in deiner Nahe fangt
sie auf, gibt sie weiter und siehe da die kleine Be-
merkung erweist sich für den Feind als höchst wichtig.
Nehmen wir mal ein Beispiel lm Laule eines Ge-
spraches mit belgischen Wirtsleuten erwahnst du,
dass du einen Bruder hast, der auch Soldat ist und an
der Front weilt. Zulallig kommt bei einer anderen
Gelegenheit in derselben Kneipe wieder einmal die
Rede auf diesen Bruder. Nun erzahlst du auch so
nebenbei dass er noch immer gesund ist, trotzdem
sein Regiment bei... nun kommt der Name des
Dorfes jüngst starke Verluste hatte. Du nennst viel-
leicht gar die Nummer des Regiments oder liisst eine
Photographie sehen,auf der sie sichtbar ist. Du denkst
dir nichts Arges. Nach einiger Zeit kehrt du wieder
in die Wirtschaft ein. Man hat dort allezeit soviel Inte
resse für dich und deine Angelegenheiten gezeigt, dass
es dir gar nicht verwunderlich erscheint, dass man
sich dort deines Bruders noch erinnert. Du hast
gestern erst einen Brief empfangen. sein Regiment ist
verlegt, und nichts ahnend plaudert du aus, dass er
nun bei... liege. Damit hast du vielleicht eine milita-
Schriftltg.Geir. W. NEUHAUS, I. Komp. Ldst. Batl. Hersteld z. Zt. Aalst (Belgien)
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