Der Einzug der Deutschen in Brussel. seltene Ware) auf die langen niedrigen Verkaufsbanke. Nun diirfen die Handler hinzutreten. Jeder Ankauf wil d polizeilich gehucht, mit einem Marktgeld belastet und durch eine öffentliche Wage garantiert. An anderen Platzen werden Biestqf\." (Rindvieh Pterde und Milchschweine verkauft. In den Winkeln (Laden) und Verkaufsstanden besorgen dann die Bauern ihre Einkaufe oder machen sich einen lustigen Tag in den vielen Estaminets In diesen Schenken wird meist ein einfaches sauer- liches Braunbier getrunken, das vom Keller aus einer Tonne'' mit dem senkrecht über den Schanktisch hervorragenden Hebelgrifl ins Glas gepumpt wird. Burschen und Manner spielen Vogelpick indem sie aus kurzer Entlernung kleine Pleile nach einer bunten Ringscheibe werf en. Am Sonntage huldigen sie dem Bollenspiel Am Anfang und Ende einer gestamplten Bollenbahnist je ein kleiner Plock eingeschlagen. Aufihn zu rollen die runden Holzschei- ben der Mitspieler erst hin und dann her um die Wette. In Gartenwirtschaften sind hohe Masten errichtet fiir hölzerne Vogel, nach denen die Bogenschiitzen mit Pfeilen schiessen. Heimlicherweise finden auch bei grossem Zuiaul die polizeilich verbotenen Hahnen- kample statt und zwar gerade dort. wo es nicht ver- mutet werden kann. An Wintertagen klöppeln Frauen und Maisjen kunstvolle Spitzen. Eigenartige Scenen kann man bei der Wasche beobachten. Grosse Waschestücke kom men in einen Holzzuber mit warmem Seiienwasser, um dann von den hochgeschürzten Wascherinnen mit nackten Beinen so lange getrampelt zu werden, bis sie genügend rein sind. Leidenschaltlich spielen altere FVauen an einem Abend in der Woche mit Karten. Dabei darf auch der Schnupitabak nicht fehlen. Sie stellen ihn sich selbst her, indem sie geeignete Tabak- blatter lest in Riibenform zusammenrollen und um- schnüren. Je nach Bedarl wird diese Rolle aul der Reibeflache eines Schubladekastchens pulverisiert. Die Manner schmoren den Tabak gern aus langrohri- gen kleinen Tonpleifen. Die jungen Tabakpflanzchen werden in dem ans Haus angebauten Treibhaus beizeiten aulgczogen und dann ins freie Land gesetzt. Fast jeder Bauernhof ver- fügt auch ij.ber etliche Weinstöcke unter Glasdachern. Naheliegenue Aecker werden von den Mannern wahrend des mdden Winters sorgfaltig umgegraben. Furchen und Pflanzenreihen bilden dann eine schnur- gerade Richtung. Gepflanzt werden ausser den Ge- treidearten hauptsachlich Kartofieln, Futterrüben, Flachs, Zichorie und Hopfen. Als Auibewahrungs- raume dienen weniger Scheune und Keller, als viel- mehr Eramieten und rundgesetzte Strohhaulen. Nach und nach werden die Getreidegarben ausgedroschen und die Körner in den zahlreichen Windmiihlen ge- mahlen. Mit dreiriiderigen schweren Lastwagen miissen trachtige Mutterpferde die winterfesten weissen Futterrüben über grundlose Feldwege nach den Höfen der Pachter fahren. Damit füttert der Bauer die Stall- tiere bis zum Friihjahr. Nachher sind Pierde und Rinder Tag und Nacht aul der Weide. Nach Vaterweise kommt als Lieblingsgericht der Bauernlamilie taglich ein aus Mehl, Milch und Eiern hergestellter Brei, den man Papp nennt, aul den Tisch. Arme Leute essen ausserdem öfter das Fleisch von Kaninchen, Katzen und Pferden. Die Borsten der Schlachtschweine werden wie in alter Zeit im Stroh- feuer abgesengt und mit einem Besenstumpi fortgefegt. Zahlreich sind die zweiraderigen Hundefuhrwerke. Es ist erstaunlich, wie rasch solche Gespanne, von 3 und mehr Hunden gezogen, einige Zentner aul dem schlechten Pilaster dahinlahren. Da sich Milchver- kauferinnen und erwachsene Burschen gewohnheits- massig daraufsetzen, haben Posten und Patrouillen diese Tierqualerei zu melden. Noch immer finden die Etappentruppen auch trotz strengVem Verbot *7er- steckte Brieftauben, deren Zucht wie die der Kampf- hahne, Singvögel und Kaninchen in ganz Flandern sportmassig betrieben wird. Am Montag, den 17. August wurde amtlich in Llebereinstimmung mit der Verfassung, als einstweilige Vorsichtsmassregel, die Verlegungdes Regie- rungssitzes nach An t w e r p e n bekannt gege- ben. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass der König im Hauptquartier in Mecheln, inmitten seiner Soldaten und an der Spitze der verbündeten Armeen, verbleibe. Zur Beruhigung wurde versichert, dass die Familien der Minister Brussel nicht verlassen würden. Die zum Dreiverband gehörigen Mitglieder des diplomatischen Corps siedelten ebenfalls nach Antwerpen über, wah rend sich die übrigen damit begnügten, sich durch die dortigen Konsuln des betreftenden Landes vertreten zu lassen. Am 19. reiste der iranzösische Gesandte Klobukowski mit seiner Familie und dem gesamten Gesandtschaftspersonal nach Antwerpen ab. Eine Tatsache. die, soweit die Bevölkerung überhaupt noch auf aussere Eindrücke reagierte, lebhaftere Erörterun- gen hervorrief als selbst die Abreise der Regierungs- mitglieder. Klobukowski wusste, dass die Deutschen innerhalb weniger Stunden in die Stadt einziehen wür den, hütete sich aber den zum Abschied erschienenen Pressevertretern sein Wissen zu olïenbaren, sondern sprach sehr zuversichtlich von baldiger Rückkehr und Wiedersehn, womit er die Zuhörer, trotz ihrer Gutwil- ligkeit, jedoch kaum zu überzeugen vermochte. Melan cholisch hingen die Fahnen von ihren Masten herab, sie schienen zu traumen von vergangener Pracht und Herrlichkeit. Auf den sonst so wohlgepflegten Wegen der schonen Parks und Garten der vielen leerstehenden Palaste begann schon Gras zu sprossen, welkes Laub deckte den Boden. Brüssel war zur Provinzstadt ge worden. Als ausseres Zeichen der Wandlung siedelte der Militargouverneur von Brabant, in dessen Handen die höchste Gewalt der Provinz lag, nach dem verlas senen Kriegsministerium über. Die P r e s s e bemühte sich nach Kraften, trotz dieser Umwandlung und der Besetzung Löwens. dem Volke seine Siegeszuversicht zu erhalten. Sie sprach noch immer von der grossen, bevorstehenden Entschei- dungsschlacht,demgemeinsamenbelgisch-französischen Siege. Sie meldete, dass deutsche und Iranzösische Vorhuten bei Dinant Fühlung miteinander bekommen hiitten und die belgische und französische Artillerie der deutschen weit überlegen sei. Man rechnete be- stimmt aul das Erscheinen von 3oo 000 Japanern auf dem europaischen Kriegsschauplatz und war sich be- wusst, die deutschen Heere lange genug aulgehalten zu haben, um ihren Kriegsplan zu zerstören und den Utffz. Fritz Feick, Landst. Batl. Hanau, 3. Komp.

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Landsturm | 1916 | | pagina 4