Auf Landsturm=Wache in Belgien vor dem Fall von Antwerpen. Ein Maitag kam, eine Juninacht... wir schon den teuren Toten schuldig, die heiligen Geistes voll dem Vaterland ihre Kraft und ihr Leben gaben und denen der Gedanke, dass sie zu Deutsch- lands Grosse mithelfen durften, Trost im bitteren Sterben gab. h Noch fasst die Seele das Herrliche nicht Und bebt zwischen Jauchzeri und Staunen... Es brannte, brüllt wie das jiingste Gericht, Wie Auferstehungsposaunen. Ein Maitag kam, ein Juninacht Glomm iiber Skagerraks Branden, Da schlug unsere Elotte die erste Schlacht, Und Gott hat ihr beigestanden. Granitene Damrr.e, dran hundert Jahr Gescharwerkt, bersten und reissen. i)er Herrsprach Deiner Feinde Schar Will ich wie Töpfe zerschmeissen. Allewiger Ruhm von Trafalgar zerschellt, Die Nelsonsaule splittert. Hinstiirzt der Riese, vor dem die Welt Mehr denn vor Gott gezittert. End die deutsche Seele weint und lacht, Palmen blühn ob den Landen Unsre Flotte schlug ihre erste'Schlacht. Und Gott hat ihr beigestanden. Vom Bahnsicherungsdienst waren wir von einer anderen Kompanie abgelöst worden und hatten nun den Ort Dieghem bei Brüssel mit allen seinen Ein- und Ausghngen zu sichern. Angesehene und einfluss- reiche Bewohner waren als Geiseln zur Sicherheit fest- genommen worden.Sie wurden auf deFHauptwache un- tergebracht, es waren ihnen alle Bequemlichkeiten ge- stattet. Sie spielten Karten und durften rauchen. Ihre Erauen und Kinder brachten ihnen zu essen und zu trinken. Alle 24 Stunden wurden sie von anderen Bür- gern abgelöst. Meist steilten diese sich freiwillig und pünktlich ein. Es kam aber auch vor, dass einer oder der andere zwangsweise herangeholt werden musste. Der Kampt um Antwerpen tobte noch. Die Fen- ster klirrten bei jedem Schuss. Des Nachts richtete sich mancher von seinem Lager auf und sah schlaf- trunken um sich, ob die vier Wande noch standen. Wir hatten hier ab und zu eine wachfreie Nacht. Eine Wohltat, die wir seit Wochen nicht kannten und die der nur zu schatzen weiss, der wochenlang Tag und Nacht, bei jedem Wetter und immer nur mit A'ierstün- diger Ruhe Wache geschoben hat. Dazu die primitiv- sten Schlafraume in einem Stellwerk zwischen den verrostesten Apparaten oder in Bahnwagen mit und ohne Fenster. Auf etwas Stroh.Wehe dem, der sich die Bequemlichkeit erlaubte und die Hose beim Schla- fen, auszog. Die interessanteste Wache war das Elektrizitats- werk. Ungefahr Stunde vom Ort entfernt. Jeder drangte sich zu dieser Wache beim Einteilen. Von hier konnte man von einer nahem Anhöhe den Geschütz- kampf beobachten, besser noch als vom Kirchturm in Dieghem. Hier führte auch die Chaussee nach Brüssel nut ihrem lebhaften Autoverkehr vorbei. Truppen und Kolonnen fiir Munition und Lebensmittel bewegten sich bei Tag und Nacht vorwarts. Meist wurden diese Sachen nur bis hierher befördert, von hier von einer eingleisigen Kleinbahn aufgenommen und bis dicht an die Stellungen gebracht. Es war eine kalte Herbstnacht. Schon am Abend war ein Zug mit Verwundeten gemeldet. Keiner von der Wache hatte sich schlafen gelegt. Wir sassen in der Wachstube. Es wurde Karten gespielt, gelesen und geraucht. Man hatte schon die Hoffnung aufgege ben, dass der Zug diese Nacht noch vorbeikommen würde, als der Posten meldete Der Zug ist da, aber die Maschine ist entgleist." Hinter dem Posten kamen auch gleich eine Anzahl Verwundete, die in der Wach stube Schutz gegen die Kalte suchten. Es waren Leichtverwundete, die noch gehen konnten. Sie hatten den Zug verlassen, als sie erfuhren, dass eine Land- sturmwache in der Nahe lag. Sind noch mehr verwundete Kameraden im Zuge Als dies bejaht wurde, gingen wir hinaus, um zu helfen. Der Zug hielt ungefahr 100 m vom Elektrizitatswerk. Rir.gsherum freies Feld. Es war hier kein Bahnhof, nur eine Haltestelle zum notdürftigsten Verladen von Munition und Proviant. Der Zug war nicht etwa einer von unseren modernen und mit allen Bequemlich keiten fiir die Verwundeten ausgestatteter Roter- Kreuz-Zug, es waren ein Anzahl zufallig zusammenge- würfelter Kleinbahnwagen, meistens Güterwagen, in denen die Verwundeten aut Stroh lagen. Der schnei- dende kalte Herbstwind blies in die offenen Fenster der Wagen. Keine Scheibe war im Zug ganz. Wir befanden uns noch im Bewegungskrieg und hier dicht hinter der Front. Ein Heranlühren der grossen Ver- wundeten-Ziige war unmöglich und auf dieser Bahn überhaupt ausgeschlossen. Zum Glück war nur die Maschine entgleist, die übrigen Wagen davon ver schont geblieben. Die Entgleisung der Maschine war unmittelbar dicht vor dem Halten an einer Weiche geschehen. Die Verwundeten im Zuge hatten von dem Zwischenfall nichts gemerkt. Wir horten schon das Stöhnen und Jammern der Verwundeten. Die Wagen waren alle dunkel. Mit unse ren Taschenlampen leuchteten wir die Wagen ab Hier lag einer, dem man den verwundeten Arm an die Wand hoch gebunden hotte. Dort lag einer auf dem Bauche, ihm war ein Sttick vom Gesass fortgerissen worden. Im anderen Wagen waren Landstiirmer damit beschaitigt, Kameraden bei der Verrichtung ihrer Not- durft in leere Konservenbüchsen zu helfen, da sie die verbundenen Arme und Beine nicht bewegen konnten. Die Hosen waren auf- oder abgeschnitten, die Aermel des Waffenrocks fehlten oder hingen aufgeschnitten iiber die frischen Verbande. Einem hing das geronnene Blut in seinem Vollbart, er stierte wie abwesend vor sich hin. Ein anderer bat unsfortwahrendphm doch einen Arzt herbei zu schaften. Er wolle ja alles selbst be zahlen, er halte aber die Schmerzen nicht mehr aus. Inzwischen waren schon Ordonnanzen in den nachsten Ort geschickt worden, um unseren Bataillonsarzt zu benachrichtigen. Dieser, sowie ein Stabsarzt aus Brüs sel, waren bald im Auto zur Stelle. Auch Waren schon einige Landstürmer ins Dorf gelaufen, um auf der nachsten Wache Kaffee zu bereiten, was auf unserer Wache nicht möglich war, da eine Kochvorrichtung fehlte. Wir hatten schon alles, was wir an Lebensmit- teln, Zigarren, Zigaretten und Schokolade im Tornister hatten, den Verwundeten zur Veriïigung gestellt Wir gaben es gern, auch unsere Schlafdecken holten wir (Caliban) im Tag

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Landsturm | 1916 | | pagina 2