Die Kompanie zieht um
sieht es naturgemass wenig freundlich drin aus. Zu-
naclist beginnt einmal ein grosses Reinemachen und
dann geht's dran, sich immer wohnlicher einzurichten.
So ging's auch bei uns. Holz wurde beschafft und
Bettstellen wurden gezimmert, Küche und Kantine
wurden besser ausgestattet und in den Zimmern alle
im Gebaude vorgeiundenen Schranke. Tische, Banke
und Stiihle zusammengetragen und, soweit man sie
gebrauchen konnte, nutzbar gemacht. Eigenartig
muteten den Besucber die Mannsehaftsstuben an.
Katheder, Wandkarten, Bücherregale, Banke, Glas-
schranke, geiiillt mit Mineralien und sonsligen Samm-
lungen, deuteten aul die ursprüngliche Zweckbestim-.
mung noch immer hin und doch hatte lhnen die der-
zeitige aussergewöhnliche Verwendung einen starken
militarischen Stempel aulgedrückt. Alle vorhandenen
Einrichtungen mussten sich den veriinderten Verhalt-
mssen anpassen. Uas Stichflammchen, das Iriiher dem
Herrn Physikprofessor beim Unterricht diente,brannte
als ewiges Liimpchen damit zum Eeueranmachen
und Pleiienanstecken stets Feuer zur Hand sei und
man die kostbaren Streichholzer spare. Aui dem Gas-
herdchen des Herrn Chemieprólessors brodelte lustig
der Kafleetopl, oder es wurde die vom Mittag gesparte
Suppe darauf aufgewarmt. Aus einem Aktenschrank
war ein Spind geworden, und wie gut hessen in den
Schubladen der Schreibtische die Eiebesgaben aus der
Heimat sich unterbringen. Am Geriist eines grossen
Projektionsapparates liess sich vortrefflichWaschezum
Trocknen aufhangen.-Nur die Sale mit den Natura-
liensammlungen blieben unbenutzt, sie boten viel des
Sehenswerten, namentlich ausgestopftes Getier aus
aller Herren Lander, wie es in der Arche Noah nicht
reichhaltiger vertreten gewesen sein kann. Daneben
hatten sie die Eigentiimlichkeit, dass mehr als einmal
in ihnen kleine Brande, deren Entstehungsursache in
den höchst mangelhaften Schornsteineinrichtungen zu
suchen war, entstanden. Ja, so gute baupolizeiliche
Vorschrilten wie bei uns, gibt's eben in Belgien nicht.
Wie olt ist die Kompanie in langer Reihe zur
Kiiche inarschi!1! t, zur-einen 1 tir hinein zur anderen
lhnaus, wie gut sass es sich an Feierstunden in der
geraumigen Kantine. Stille und ausgelassen fröhliche
Stunden haben wir drin verlebt. Stille, wenn kaum
sonst jemand drin war, und man in einer Ecke sitzend
in ein Buch aus der Kompaniebiicherei die der Kan-
tinenwirt verwaltet, sich vertiefen konnte heitere,
wennimKreis der Kameraden Harmonika; Posaune
und Zuplgeige erklangen, wenn frohe Lieder ertönten,
wenn wirtranken auf alles, was wir lieben.
Jetzt ist nun die Kompanie zum letztenmal durch
den Tor weg gezogen, um ein anderes, leider weniger
wohnliches Quartier zu beziehen. Ja, wer hatte das
gedacht,dass wir in Gent selbst uns noch einmal vcran-
dern miissten in dem Tonveg aber, der durch das
ganze Vordergebaude fiihrt, mussen wir noch etwas
verweilèn Sinnige und kernige Wandsprüche aus der
Heimat schmiicken die Aussenwand rechts und links
der Tiir zum Wachtlokal. Leer gahnt das schwarze
Brett das sonst zu Mitteilungen der Universitats
behörden an die Studierenden diente. Manch einer
liihlte sich berufen, die Wande mit Inschriften zu
zieren und seinen Gemiitsstimmungen Ausdruck zu
verleihen. Viel Bemerkenswertes ist nicht darunter
der eineklagt missmutig fiber vielen Dienst, den ande
ren quiilt die Sehnsucht nach der Heimat, er smgt
Die AVelt ist gross, die Welt ist schön,
lm Kneg bekommt man viel zu sehn,
Viel schoner könnt es doch noch sein,
Wenn man bei Muttern war daheim.
Ein dritter ist heiterer veranlagt, allerhand Schnur-
ren und Scherze lasst ihn sein Uebermut an die Wand
schreiben, und manche Inschriften lassen auch ein
ernstes religiöses Empünden erkennen. Liebe,
Glaube, Hofïnung. diese 3 sind eins' findet sich von
Künstlerhand recht schön versinnbildlicht. Wir
haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukiiniti-
ge suchen wir schreibt ein anderer; ein dritter zitiert
den 63 Psalm. Lies ihn nach, lieber Leser, dann wirst
du wissen, wie es dem Schreiberzu Mute war.
Ehe wir das Gebaude verlassen, wollen wir noch
einen Bliek in den geraumigen Hol werfen. Ueber die
Dacher schaut gerade noch die Spitze des Turmes der
Kathedrale von St. Bavon ernst hinein. Heil und licht
ist er, mmitten von Rhododendren und griinem Busch-
werk bestanden, durch das Wege nach allen Richtun-
gen führen. Wie oft stand auf dem breiten Backstein-
weg der an den Hausreihen sich entlang hinzieht, die
Kompanie aufgèstellt, wenn Appell und Befehlsaus-
gabe war oder wenn's zum Exerzieren und zur
Wachtparade ging. Wenn doch erst zum letzten Abrükv
ken heimwarts angetreten würde wie olt haben wir's
uns gewiinscht. Es hat nicht sollen sein
Wenn aber erst einmal der .oorlog" getan ist,
und wir wieder zu Hause sind, und wenn nach Jahren
vielleicht mcin Weg mich noch einmal nach Belgien
und nach Gent führen sollte. dann schaue ich noch
einmal in den Hof der alten Universitat, und alle alten
Erinnerungen werden wieder wach. H.
Umzug, dieses plötzliche Verpflanztwerden, Sich-
verpflanzen von einem alten Ort in einen neuen, ist
immer Unruhe, Abschiednehmen,Gewöhnung in andere
Verhaltnisse. Das hat in diesen Junitagen die 3. Komp.
des Ldst. Batls. Hersteld wieder am eigenen Leibe
cilahren mussen, die seit über einem Jahr ihre Kriegs-
heimat in der alten Genter Universitat, dem Palais
académique zwischen der Voldersstraat (rue des
Foulons) und der Langen Meire (rue longue du marais)
gefunden hatte.
Was man gehabt hat, diese Vorzüge und Annehm-
lichkeiten begreift der Mensch bekanntlich erst ganz,
wenn er sich von ihnen trennen muss. Die alte Univer
sitat musste geraumt werden, damit ihre Raume lang-
sam wieder auf ihren eigentlichen Daseinszweck vor-
bereitet werden können Seine Excellenz der Herr
General-Gouverneur Freiherr von Bissing hat be-
stimmt, dass vom nachsten Semester ab die Universi
tat Gent, die indiesemjahr die Feier ihres hundert-
jahrigen Bestehens begehen kann, als vlamische Lan-
desuniversitat zu gelten hat Was ein ganzes Volk sich
nicht im Verlaule eines Sakulums selbst erringen
konnte, empfangt es jetzt aus den Handen der neuen
Hérren, der Sieger, als freiwilliges Geschenk. Aus der
Vorgeschichte dieser Kulturtat, der wir uns ohne
Ueberhebung riihmen können, sei folgendes erwahnt
Schon einmal im.M ittelalter besass die alte Han-
delsstadt am Zusammenfluss von Schelde und Leie
eine Hochschule.die unter dem Namen Calvinistische
Academie" von 1578 1084 ein kurzes und wenig
belangreiches Dasein führte. König Wilhelm I. der