Niederlan.de war es vorbehalten, neben Löwen und
Lüttich auch Gent durch die ieierliche Verfiigung vom
25. September 1816 mit der Errichtung einer staat-
lichen Universitat auszuzeichnen, die schon nach dem
Namen Vlaemsche Hoogeschool als auch durch
die Tatsache, dass damals die ersten vlamischen
Gelehrten als Professoren berufen wurden, die kultu-
rellen Absichten ihres Gründers verrat. Von den
Eröffnungsreden verdient besonders diejenige des Pro
fessors Kesteloot in der Landessprache als Geleit-
wort im national-vlamischen Smne erwahnt zu werden,
die im Staats-Courant spater abgedruckt wurde.
Die amtliche Unterrichtssprache war die lateinische,
iedoch wurden je zwei Kollegs in französischer und in
vlamischer Sprache abgehalten, und zwar Geschichte
und Literatur in vlamischer Sprache. Die Revolution
'des Jahres i83o schut aus Belgien ein eigenes König-
reich. Die philosophische Fakultat wurde eingezogen.
Gegen die Französierung wandte sich der Aulrul des
jan Frans Willems im Jahre 1834, dessen Denkmal
"heute. von der Hand des Bildhauers Isidore De Rud
der, vor der Vlamischen Schauburg in Gent steht, auf
der Place Saint-Bavon. Er, der gleichzeitig der Her-
ausgeber der literarischen Zeitschrilt Nederduitsch
Jaerboekje war, ist der Vater der sogenannten vlami
schen Bewegung, die 1840 durch eine Massenbitt-
schrift von zehntausend Unterschrilten der angesehen-
sten Gelehrten erneuten und starkeren Ausdruck
erhielt. Am 6. November 1845 wurden die drei bekann-
ten vlamischen Dichter Hendrik Conscience, dei Ver-
fasser des Löwen von Flandern Ledeganck und
De Laet als beigeordnete Professoren der Univer
sitat Gent vereidigt. Den ersten niederlandischen Lehr-
gang eröffnete am 6. November 1854 der Professor
Serrure, wahrend der zweite vlamische Lehrstuhl von
dem Dichter Heremans besetzt wurde. 1876 wurde das
Vlamische amtlich als Examenssprache zugelassen.
Der JLehrkörper der Universitat von etwa 100 Profes
soren und Dozenten bestand Anfang IQ 14 aus 27 VY al-
lonen, 3 Deutschen, 70 Vlamen, die jedoch alle in fran
zösischer Sprache unterrichteten. Und zwar in jenem
umfangreichen Gebaude zwischen der V oldersstraat
und der Langen Meire, das 1819 1826 von L. Roe-
landt errichtet wurde, dem die Stadt Gent auch das
Kasino (i835), den Justizpalast (1836-43) und die
Französische Schauburg (1837-40) verdankt.
Zwar durch den korinthischen Portikus der Haupt-
fassade in der Voldersstraat, dem das Basreliëf noch
heute fehlt, hat niemals ein Feldgrauer die heiligen
Hallen betreten, so dass ihm auch der farbige Wand-
schmuck in dem monumentalen Treppenhause von der
Hand der Meister Cluysenaer, Lagye und De Taeye
unbekannt blieb. Der Eingang für die Kompanie ging
von der Langen Meire aus. Durch einen langen Gang
gelangt man in den Hof nut seinem grossen Rasenvier
eek. Er hat manche liebe Stunde des Exerzierens in
sich gesehen, wie exakt die Fauste deutscher Land-
sturmmanner Griffe kloppen können und was es so
des Mannigfaltigen bei allen möglichen Appells zu
hören und zu bemerken gibt. Und wenn, wie man wohl
so zu sagen pflegt, dieser vier vielfenstrigen Wande
Augen und Ohren reden könnten, so miissten sie
notgedrungen deutscher Zucht, deutschem Soldaten-
geist eitel Worte des Lobes und der Bewunderung
zollen. Wahrhaftig, das war ein ganz anderes Leben
wie dasjenige, das noch Mitte 1914 a" ti°0 Stu
denten aus Frankreich, England, Russland, Bulgaiien,
Rumiinien und den kleinen und kleinsten Staaten Süd-
amerikas hier volIfiihrten Mochte die nach Art des
Pantheons saulengetragene Rotunde der Aula mit iluen
1700 Sitzplatzen ruhig verstauben und verfallen in
den einzelnen Salen und Kollegraumen war Leben und
Lachen und Geist genug.
Die schwerfalligen langen Banke der Studenten
hatten es sich getallen lassen müssen, das.- man sie an
einer Wand aufeinander ttirmte Oder sie gar aui die
Korridore trug. Der Platz wurde eben für die Betten
der einzelnen Korporalschaften benötigt. Den vielen
schonen und geraumigen VVandschranken abei waid
eine ganz andere Bestimmung. Dort. wo sich auf den
Regalen einmal so viele gelehrte Bücher reihten, stan
den jetzt Kochgeschirre neben Stieleln, lagen Patro-
nentaschen neben Liebesgabenpackchen und Kommis-
broten. Ordnung einst und jetzt Auch die Katheder
blieben, durchschnittlich jedoch weniger daseinsbe-
rechtigt. Zwar mag sich wohl einmal ein Kamei ad aul
eins von ihnen verstiegen haben, um aus der neue
sten Zeitung dem schweigenden Kolleg in Feldgi au
die letzte grosse Siegesnachricht aus Ost oder West
vorzulesen oder aus innerstem Herzen seiner Seele
sonstwie freien begeisterten Lauf zu lassen, ohne eine
Ahnung davon zu haben, dass just von derselben Stelle
aus der hochgelehrte Herr Professor Mareska einst
seine recht bunt zusammengewürfelten Schiller be-
lehrte, erzog, formte, vollendete
Da hatte das Katheder in dem Raume, der jetzt
zur Kantine degradiertwerden musste, doch eine
andere wertvollere getragene tragende Bedeutung,
indem es angenehm schaumig gefiillten oder schon
wieder geleerten (nicht etwa gelehrten Bierglasern
eine standfeste Unterlage bot. Es war des trockenen
Tons nun satt es triefte bisweilen, nicht von YVeis-
heit, aber doch von Geist, wie er in einer Kognak-
flasche oder einer Steinhagerkruke recht angenehm
vorhanden ist.
Und dann die schonen Wandtafeln nicht zu verges
sen Die Flachen, auf denen sich sonst mathematische
Gleichungen mit drei oder noch mehr unbekannten
Grossen breit machten, boten jetzt einer leider auch
noch unbekannten Grosse von Schnellzeichner 'dafür
jedoch schon im Gefreiten-Grad Gelegenheit, den
Kindern seiner Muse ein lustiges Kreide-Dasein zu
geben, das wohl auch ohne jede Bosheit einem der
Herrn Vorgesetzten eine Eigentümlichkeit ankrei-
den konnte. Erinnerungen fiber Erinnerhngen. Hei
tere Erinnerungen die auch bleiben, jetzt wo man
schon eine andere, vielleicht 111 mancher Hinsicht
nicht so schöne Bleibe hat. In manchei Beziehung,
als da waren 1 elektnsches Licht, Gaskocher m jedei
Stube Wie gun, dass hier einmal Professoren der
Chefnie mit ihren Tiegeln und Retorten tatig waren
und zujeder Stunde des lauternden Feuers beduriten
Koche mit Gas Ach wie so gern kamen unsere
Landsturmmanner doch diesem kategorischen Impe-
rativ nach Erinnerungen.
Man wird des Wertes einer Sache erst ganz inne,
wenn man sie verloren hat. So mag es auch manchem
der Kameraden ergehen, wenn er Jetzt nach glücklich
erfolgtem Umzug im neuen Quartier abends nach voll-
brachtem Dienst der alten Genter Universitat gedenkt,
deren Lehrsale. deren naturhistonsches und archaolo-
gisches Museum und Münzkabinett jetzt wieder liir