Der Generalgouverneur an
das belgische Volk.
in der Ruinenstadt.
Der Generalgouverneur in Belgien Freiherr von Bissing
wendet sich in einem offenen Briefe an die belgische Bevöl-
kerung und setzt ihr auseinander, dass er auf Grund der
Haager Konvention die Verwaltung des Landes führt und
in Ausführung dieser völkerrechtlichen Verpflichtung das
Land nicht ausschliesslich zu Nutz und Frommen des
Deutschen Reiches, sondern in Erfüllung schwerer, dein
besetzten Belgien gegenüber bestehenden Verpflichtungen
verwaltet. Er erkennt an, dass eine nicht geringe Anzahl
von Biirgermeistern, Staats- und Kultusbeaniten, Stadtern
und Landwirten, auch wohltatigen Frauen und Mannern
das Ziel seiner Bestrebungen erkannt habe. An zahlreichen
anderen Stellen aber begegneten seine Massregeln immer
noch einem offenen oder geheimen Widerstande.
Es scheine der Wahn zu herrschen, als sei es eine patrio-
tische oder mannhafte Tat, sich den Verordnungen der
okkupierenden Macht entgegen zu stellen. Es sei vielfach der
Gedanke verbreitet, es könne demjenigen Mangel an vater-
landischem Mute oder gar Treubruch vorgeworfen werden,
der die Arbeit der deutschen Verwaltung unterstütze. Wer
seiner Verwaltung sich willfahrig oder förderlich erweise,
diene nicht der besetzenden Macht, sondern vorwiegend
seinem eigenen Vaterlande. Wer dieser widerstrebe,
schade nicht dein Deutschen Reichesondern
ausschliesslich seinem Vaterlande Belgien. Ein
derartiges Tun könne aber weder als mannhaft noch als
patriotisch gelten. Der Generalgouverneur verlange von
niemand eine Abkehr von seinen Idealen oder etwa gar
eine heuchlerische Verleugnung seiner Ueberzeugung. Was
er aber von jedermar.n erwarten müsse, sei die Anerken-
nung des tatsachlichen Zustandes, dass er und seine Ver
waltung nach Kriegs- und Völkerrecht die gesetzliche
Pflicht und demnach auch das gesetzliche Recht hatten,
das Land zu verwalten und die Behörden des Landes,
wie auch seine geistlichen und weitlichen Führer zur
Mitarbeit heranzuziehen. Es sei daher dringend notwendig,
dass der, der Einfluss besitze, ihn schaffend betatige. Er
achte jedes religiose, politische und nationale Glaubensbe-
kenntnis und begrüsse jede ehrliche Mitarbeit, woher sie
auch konune aber seine Pflicht zwinge ihn, gegen Wider-
setzliche, gegen diejenigen rücksichtslos einzuschrei-
ten, die offen oder geheim die öffentliche Ordnung
storen oder versuchen, die Wiederherstellung und rullige
Entwicklung des öffentlichen Lebens zu verhindern. Ohne
Ansehen der Person werde er in Erfüllung der ihm übertra-
genen Aufgaben diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die
sich ihm mit Wort und Tat widersetzen, und, soweit sie
sich im Besitze eines öffentlichen Amtes befanden, aus
diesein entfernen.
Mit einèm Appell an den gesunden Sinn der belgischen
Bevölkerung und ihrer Leiter schliesst der Generalgouver
neur seine aufklarenden Worte, von denen er hofft, dass
sie die noch vorhandenen falschen Auffassungen beseitigen
und in alle Schichten des Volkes die Erkenntnis ver
breiten werden, dass seine Verwaltung dem Interesse des
Landes zu dienen bestrebt ist.
Ein Frühlingsgang nach Dendermonde.
Du gehst durch ein gottgesegnetes Land. Ueppig stehen
die Wiesen und Kleefelder, schon übers Knie hinaus ragen
dir die Roggenhalme, und es ist doch erst gerade Mai ge
worden. Die Hopfenpflanzen bedürfen schon der langen
Stangen, um dem Licht entgegenklimmen zu können. Dichter
Blütenschnee verdeckt die roten Dacher und selbst über die
am langsten in den Lenz hineinschlafenden Baume der
prachtigen Strassenalieen sind schon feine, grüne Schleier
gewoben. Von den leuchtenden Goldlackbeeten und den
Syringenbüschen weht ein süsses Düften herüber. Und nun
trittst du hinein in Dendermonde, die Stadt an der Dender-
mündung (in die Schelde), und das Herz, das noch eben
fröhlich dem Tag entgegenschlug, will dir im Busen erstar-
ren. Welch ein Gegensatz Eben noch die reichste Fülle,
jetzt die grausigste Oede, draussen das jubelnde, erwachende
Leben, hier der Tod. Du fasst dich an die Stirn, wo bist du
Gewiss, du wusstest es, ehe du kamst Dendermonde ist 1
furchtbar zerstört worden. Sahst ja auch auf dem Wege zur 1
Stadt genug der Spuren des Krieges die Mühle in Audegem, j
der eine Granate durch den Steinbauch hindurchfuhr, den
Kirchturm des Ortes, dessen Dachsparren anklagend zum
Himmel sich strecken, sahst einzelne Hauser, die wie altes j
Gerümpel am Boden liegen. Aber das waren nur kurze
Eindrücke, die Augen schweiften bald weiter und sahen
schon dicht daneben wieder wohlerhaltenes und neuspries-
sendes Leben.
Aber hier Du gehst und gehst von einer Strasse in
die andere, gehst nun wohl eine Stunde und mehr und wan-
derst nur durch Ruinen. Verwundert schaust du auf, wenn
einmal ein noch bewohnbares Haus am Wege liegt oder gar
hier und da eine Gruppe. Ordnung wurde verkehrt in die
wüsteste Unordnung, bescheidenes, menschliches Gltick
schlug die rohe Kriegsfaust in tausend Scherben. Wo ist
noch ein Dach, ein Stockwerk, wo Fenster und Türen Die
Sonne scheint hinein auf die Fliesen des Fussbodens, der
Regen drang hindurch bis in die kleinen Keiler und machte
sie zu morastigen Pfützen. Wie ist das gekommen Du fragst
Belgier und Deutsche, keiner kann dir eine befriedigende
Auskunft geben.
Hart ist der Ort umkampft worden. Die Belgier glaubten
mit der Verteidigung der durch alte Walle und Graben
befestigten Stadt den Angriff auf den Fortgürtel von Ant
werpen aufhalten zu können. Hier spielte die Ebbe und Flut
des grossen Kampfes ihr grausames Spiel. Bald fluteten die
feindlichen Streitkrafte vor, bald ebbten sie zurück und dann
wieder vor und dann wieder zurück, bis endlich eine deut-
sche Marinedivision das Feld behauptete. Die Kanonen
haben ihre verderbenbringende Eisensaat über die Stadt
ausgesat, die in gierigen Flammen jah emporwuchs. Stras-
senkampfe haben sich entwickelt. Von Zivilisten ist aus den
Hausern geschossen worden oder waren es belgische
Soldaten, die in frevelhaftem Leichtsinn Zivilkleider ange-
zogen hatten Diese Hauser wurden erstürmt, in Brand
gesteckt und rissen ihre Nachbarschaft mit hinein ins Ver-
derben. Wer hatte Zeit, den Flammen halt zu gebieten Die
zuriickkehrenden Feinde übten Rache, deutsche Verwundete
soli man aus den Fenstern auf die Strasse gevvorfen haben.
Furchtbar muss die letzte Nacht gewesen sein. Plündernd
verliessen die eigenen Truppen die unselige Stadt, in der
Bordellgasse kam es zu wüsten Scenen. Ein Sturmwind
peitschte die Flammen über die Dacher, dahinein grollten
die Südforts von Antwerpen. Wie aus Flammenwaldern
drangen die Deutschen vor in die trümmervolle Einöde des
Grossen Platzes, und als die erste Abteilung dort ihre
Gewehre zusammenstellte, nach einem hoffnungslosen Ver-
such, zu löschen, schlich sich ein altes Weib an den
befehlsführenden Officier, ob sie ihm Madels und die wohl-
versorgten Keiler reicher Leute verraten dürfe Eine