Mutter Wawrik.
derten ihm die Flugzeugabwehrkanonen ihre Grüsse ent-
gegen. Wie drohende Fauste ballten sich ihm die Wölkchen
der platzenden Schrapnelle entgegen, immer naher und
naher, bis er schleunigst Reissaus nahm.
Vom Turme des Belfrieds klingen die weichen Klange
des Glockenspiels herüber, ist das schönste in ganz Belgien.
Der Abend kommt, das Leben schlaft allmahlich ein. Noch
einmal gehen wir an den Binnenkanalen entlang, denn in
dieser Dammerimg ist Brügge am schönsten, wie ein altes
Weiblein, über dessen tausend Runzeln der frohe Abglanz
eines gerngelebten Lebens liegt. Langsam treibt das dunkle
Wasser dahin. Rosen haben ihre Blüten über es ausge-
schüttet. Ein Kahn fahrt vorbei, du hörst kaum den Schlag
der Ruder. Deutsche Sanitater suchen so nach des Tages
Arbeit ein wenig Erholung. Ihr Schifflein gleitet durch den
dunklen Brückenbogen in die grüne Pracht, die von beiden
Ufern fast den Kanal überwölbt, hinein. Und nun summen
sie eine weiche, wehmütige Melodie, ein Liedchen wohl von
der Liebsten in der Fern. Und wieder völlige Stille. Da hebt
sich ein Trommelrasseln aus der Stadt empor, starker und
starker schwillt es an, und dann setzt Musik ein, feierlich
getragen Ich bete an die Macht der Liebe Auf dem
Marktplatz vor dem Belfried entblössen sich jetzt die Haup-
ter es ist der allabendliche Zapfenstreich, ein deutscher
Abendsegen für die Stadt, die sich nun zur Ruhe rüsten soil.
Es ist 9 Uhr vorüber, nur noch einige Gestalten huschen über
die Strassen, die Rollladen der Geschafte rasseln herunter,
ihre Lichter verlösc'nen noch sitzt man vor den Hausern
und wechselt ein paar Worte mit den Nachbarn. Punkt
lOUhraberist alles verschwunden, die Türen schliessen
sich, die Strasse gehort den Patrouillen. Von Süden her aber
tönt nun deutlich in regelmassigen Abstanden der dumpfe
Schall der Kanonen, den der Larm des Tages oft verdeckte,
herüber der gewaltige Pulsschlag des nimmer ruhenden
Krieges. h
Mutter Wawrik nannten sie sie im ganzen Dorfe,
obzwar sie noch nicht so alt war und nur ein einziges Kind
hatte. Aber Mutter passte besser zu ihrem ganzen Wesen
als Frau Es drangte sich den Kindern auf die Lippen,
wenn der Georg vom Spiel weg ins Haus rannte und die
anderen ihm nachliefen. Sie hatte wohl auch noch einen
Apfel für die anderen iibrig, obgleich sie arm war und ihr
Garten klein. Jung verwitwet, zog sie ihrenjungen zu einem
tuchtigen Menschen heran, bebaute ihr Stückchen Feld und
hielt das Haus sauber.
Sie hatte ihren Jungen ziehen lassen, als das Vaterland
ihn brauchte und hatte die Tranen tapfer verhalten, bis Georg
sie nicht mehr sah. Sie klagte und jammerte auch nicht, als
die Nachrichten aus dem Felde so sparlich kamen, nur das
graue Strickzeug in ihren Handen wuchs schneller als sonst.
Die Hande flogen in Hast und Unruhe.
Es kamen wohl auch Tage, dass sie es im Hause nicht
langer aushielt. Sie trat vor die Haustür und spahte aus. Die
Marzsonne blendete sie, aber der Wind kam noch kalt und
schneidend dahergefahren und zerrte an ihren Kleidern. In
den Ackerfurchen lag noch Schnee, doch die Salweiden
unten am Bache standen schon im vollen Schmuck ihrer
silbergrauen Katzchen, und der Bach selbst plauderte sich so
munter und übermütigzu Tale, als habe er irgendwo den
Frühling schon in Duft und Blüten gesehen.
Mutter Wawrik stand in Ungeduld. Kam der alte Kröger
noch immer nicht Es hielt sie nicht an der Tür, wenn der
Alte in Sicht kam, sie ging ihm bis an den Gartenzaum
entgegen.
Nichts für mich
Nach wochenlangem Warten endlich ein Brief. Die
Hande zitterten, die ihn entgegennahmen. Das Herz setzte
den Schlag aus, als sie die fremde Schrift erblickte. Es war
gut, dass die blonde Anne vom Nachbar herübergesprungen
kam und ihr die Brille hinreichte.
Der Brief war doch vom Georg geschrieben.
Mutter, ich liege im Spital. Es gelit mir gut. Nur nicht
gleich schreiben konnte ich dir. Deinen Brief und die war
men, grauen Socken hab ich noch ins Feld bekommen. Die
Socken sind so schön dick und weich, aber der kleine
Wagner aus unserem Dorf, der Karl, hatte keine, dem
habe ich sie geschenkt. Sei nicht böse, Mutter, und er-
schrick nicht, ich kann sie nicht brauchen, mir haben sie
die Beine weggeschossen
Bis zu dieser Stelle las Mutter Wawrik, dann sank ihre
Hand mit dem Briefe schwer herab, der Brief entglitt ihr.
Anne hob ihn auf. Mit bebender Erregung irrten ihre
Blicke über die Zeilen. Sie schrie auf und rannte hinaus.
Mutter Wawrik sah ihr Kopftuch in der Sonne leuchten. Sie
sah ihr nach, und ihr starrer, leerer Bliek belebte sich. fa,
der Anne ging's wohl nahe. Nachbarskinder und Gespielen
waren die beiden und hatten wohl auch ihre heimlichen
Plane gehabt.
Mutter Wawrik fuhr sich über die Augen. Die Tranen
rannen ihr über die Wangen. Das Weh ward so übermachtig
in ihrem Herzen, dass es sie umzureissen drohte. Aber sie
hielt sich an der Tischkante fest und kampfte es nieder.
Schwankenden Schrittes tastete sie sich durch ihr Hauschen.
Sie ging nach dem Stalle, es war bald Mittag die Schecke
war Piinktlichkeit gewöhnt
Als ganz kleiner Junge war der Georg hinter ihr herge-
trollt, hatte still neben ihr gestanden und auf sein Töpfchen
Milch gewartet. Er war so viel urn sie herum gewesen, tags-
über. Mit seinen kleinen Handen hatte er den Hühnern den
Weizen gestreut und sich angstlich hinter Mutters Rock ver
steekt, wenn der Hahn gravitatisch naher kam und noch ein
paar Körnlein aus der Kinderfaust pieken wollte. Mit Spaten
und Rechen hatte ihr der Junge im Gartchen geholfen, sein
Stimmlein klang in Mühsal und Arbeit und gab ihr neue
Kraft. Sein Trippeln war in ihrem Hause, bald in Stube und
Keiler, in Boden und Kammer zu horen. Mit übermütiger
Jungenfreude trug er ihr den Korb Heu nach Hause, half er
ihr da und dort
Sie sah ihn noch rank und schlank zum ersten Male
hinter dem Pfluge gehen. Wie ihm die Furchen gerieten Und
wenn er inne hielt und sich den Schweiss von der Stirne
trocknete, dann glitt sein Bliek der Lerche nach, die sich
jubelnd in die Lüfte schwang. Etwas von der Fröhlichkeit
des kleinen Vogels schien über ihn gekommen zu sein, er
pfiff sich zur Arbeit ein Lied und war guter Dinge. Oder, wenn
sie sich vorstellte, wie er Sonntags nach dem Kirchgang auf
der Bank vor dem Hause sass und die Blumen betrachtete,
die auf den kleinen Beeten blühten wie zufrieden war
er da
Mutter Wawrik stand auf. Sie wischte sich die Tranen
fort. Konnten ihm denn all die stillen, kleinen Freuden ster
ben, die es früher für ihn gegeben hatte Ein glaubiges
Lacheln glitt über das durchfurchte Gesicht der Frau. Sie
wusste es aus ihrem eigenen Leben die Quellen stiller
Freude im Menschen lassen sich nicht verschutten.
Sie ging tagsüber ihren kleinen Geschaften nach, und
als die blonde Anne gegen Abend herüberkam, sass Mutter
Wawrik am gewohnten Fensterplatz. Das Madchen mit den
verweinten Augen und dem blassen Gesicht blieb erschreckt
unter der Tür stehen.
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