Fliegerangriff. flüchteten in die Keller und verlebten Stunden der Angst und des Schreckens, die ihnen unvergesslich bleiben werden. Von 7-11 Uhr morgens und von 2-5 Uhr nachmittags war die Kanonade am heftigsten. Wohl einige vierzig Hauser wurden zerstört, viele beschadigt, und kaum eine Strasse blieb oline die Spuren des Kampfes. Aber wertvolle Gebaude sind nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, nur die am Ende des 15. Jahrhunderts erbaute, spatgotische Martinskirche weist manche Schrapnellspuren auf, auch fanden zwei Granaten den Weg in zwei Kapellen des Chorumgangs. Die Schilden sind aber nun schon lange ausgebessert worden. In der Nacht rükte der grösste Teil des belgischen Mili- tars ab, da Verstiirkungen, die man erwartete, nicht eintra- fen, nur etwa 200 Mann blieben etwas langer zuriick, urn den Abmarsch zu decken. Am folgenden Morgen machte der Bürgermeister der Bevölkerung bekannt, dass man gut daran tate, sich vor den Deutschen in Sicherheit zu bringen. Die geangsTigten Leute rafften zusammen, was sie konnten, und in wilder Eile ergoss sich der Strom der Zehntausende auf Gent zu, das noch in belgischem Besitz war. Ein unendlich trauriger Anblick, aber auch eine unendlich törichte Mass- nahme. Waren sie daheim geblieben, sie hutten ebenso wenig über Drangsalierungen durch die Soldaten zu klagen gehabt, wie die wenigen es sind sicher keine hundert von den 36.000 gewesen die den Mut besassen, auf ihrem Eigen- turn zu bleiben. Und wievielen Schaden hatten sie abgewen- detDie leerstehende Stadt wurde von den Deutschen be- setzt, sie quartierten sich in die verlassenen Hauser ein, die oft bis unters Dach voller Gaste lagen. Jeder suchte sich eine Lagerstatt zu bereiten, so gut es ging. Das erhöhte natürlich nicht die Ordnung. Am anderen Tag ging's wieder weiter. Andere Truppen kamen und wieder andere. Keiner dachte an ein Grossreinemachen. Was man an Ess- und Trinkbarem vorfand, wurde nach altem Kriegsgebrauch als gute Beute betrachtet, auch hat sich mancher gefreut, einmal wieder reine Wasche anziehen zu können. Es braucht auch nicht bestritten zu werden, dass der eine oder der andere trotz der strengen Verbote irgend etwas requirierte was nicht zu des Leibes Nahrung und Notdurft gehorte, aber, wenn hin terher die zurtickgekehrten Bewohner ihre Garderobe, Haus- gerate, ihre ganze Wasche u. dergl. mehr vermissten, so ist das nicht auf die Rechnungder Soldaten zu setzen. Gerech- terweise müssen wir sagen, es tut nur selten jemand. Kaum war namlich der Kanonendonner verhallt,als sich auch schon allerlei lichtscheues Gesindel aus der Umgebung einstellte, das eine günstige Gelegenheit, im Triiben zu fischen, ge- wittert hatte. Sie machten reiche Beute. Die deutschen Befehlshaber suchten Ordnung zu schaf fen und das herrenlose Gut zu beschiitzen, so gut es ging. Sie setzten aus den paar zurückgebliebenen Biirgern einen als Bürgermeister ein er versieht noch heute zu allgentei- ner Zufriedenheit seinen Posten andere wurden zu Poli- zisten bestellt und durch ein gelb-weiss-rotes Band (die Stadtfarben) kenntlich gemacht. Aber viel war ja nicht zu wollen h Ich sitze in einem Hotelzimmer und arbeite. Viel Ruhe darf man nicht verlangen. Ausser dem Ge- knacke der Heizungsröhren höre ich unten auf dem Strassen- pflaster ein ununterbrochenes Rattern von Wagen, Geklapper von Pferdehufen und feste Marschtritte, höre ich das dumpfe Ballern der Artillerie von der Front. Das geht schon eine ganze Weile so. Auf einmal mischt sich ein neues Gerausch mit dem alten. Kiirzere Schüsse, die naher klingen. Aha, da ist ein feindlicher Flieger in der Nahe, den unsere Abwehrkanonen begrüssen. Das ist immer noch alltagliche Musik, und man blickt, wenn sie ertönt, nicht einmal mehr vom Schreibheft auf. Aber die Sache entwickelt sich doch anders als sonst. Die kurzen Schüsse werden haufiger, folgen sich schneller. Und jetzt Tack tack tack Maschinengewehre betei- ligen sich an der allgemeinen Unterhaltung. Auch sie immer lebhafter, immer rascher. Nanu, was gibt's denn da Ich trete ans Fenster.Es liegt im obersten Stockwerk,und ich kann ein gut Stück vom Himmel übersehen. Wahrhaftig, da ist der Kerl schon in Sicht. Schwebt in riesiger Höhe zwischen einer ganzen Versammlung weisser Schrapnell- wölkchen. Aber was ist denn da? Da kommt ja noch ein zweiter und ein dritter. Ja, ein vierter und ein fünfter. Von der Seit'e tauchen noch mehr auf. Hallo immer mehr ein ganzes Geschwader ist über der Stadt. Ich zahle vierzehn, sechzehn, zwanzig In geschlossener Kolonne kommen sie angeflogen, mit regelmassigen Abstanden, mit Vorhut, und Seitensicherungen. Soil das ein regelrechter Angriff werden Von unten tönt ein Trompetensignal.Das ist das Zeichen, dass man die Strasse raumen und Fliegerdeckung nehmen soil. Solche Warnungen sind notwendig. Denn immer noch erscheint das Wunder des Menschenfluges als etwas so Staunenswertes, dass die Leute unten auf der Erde, militari- sche wie zivilistische, bei aller Gefahr am liebsten zu den stahlernen Vögeln hinaufstieren. Es gibt Stadte nahe der Front, wo man durch Anschlage ftir jedes Stehenbleiben auf der Strasse beim Herannahen feindlicher Flieger Geldstrafen androhen musste. Das Trompetensignal wird dringlicher. Die Grosse des Geschwaders lasst denn doch auf wenig freundliche Absich- ten schliessen. Im Nu sind die Strassen leer. Und das war höchste Zeit. Denn schon prasselt es auf den Dachern und dem Pflaster Schrapnellkugeln fallen herab. Und nun ein furchtbarer grauenhafter Klang die erste Bombe ist abge- worfen. Jetzt wird es mir ungemütlich in meinem Zimmer unmit- telbar unter dem Dach. Auf der Treppe begegne ich anderen, die derselben Meinung waren. Wahrend wir hinuntersteigen, brüllt es zum zweiten Male die nachste Bombe fiel. Vom Hofe her hort man eine kommandierende Stimme Fliegerdeckung nehmen Die Gruppe verteilt sich. Ich stehe einen Augenblick unschlüssig, kenne auch das Terrain nicht. Da nimmt mich der junge Hauptmann, mit dem ich schon mittags die strategische Gesamtlage Europas erörtert hatte, lachend am Arm und sagtKommen Sie man mit, Herr Doktor Es ist gar keine Tapferkeit, zu warten, bis einem so ein Ding auf den Kopf fallt. Also immer 'rin in den Heldenkeiler Aber da geht's auch schon los. Ein Höllenspektakel entwickelt sich, der sich ungefahr aus folgenden Tonen zusammensetzt Tack-tack-tack—Bum-tack-tack-tack Bum-bum-tak-tak—Ratsch Diese Skala wiederholt sich fortwahrend. Ratsch ist immer das Einschlagen und Krepieren einer Bombe. Deutlich verfolgt man, wie der scheussliche Klang naher kommt, lauter wird. Und jetzt ist er ganz nahe. Man hört es wimmern, wie bei einer Granate. Dann ein entsetzlicher Schlag und Knall. Dicht bei uns muss eine Explosion stattgefunden haben. Das Haus mitsamt dem Kellergewölbe zittert. Es ist wie bei einem Gewitter, wo man bei einem wilden Donnerkrachen, das dem Blitz auf dem Fusse folgt, die Gewissheit hat Das hat ganz dicht bei uns eingeschlagen. Und man steht ja auch, soweit man nicht selbst zu den Abwehrschützen gehort, einem solchen Flieger-

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Landsturm | 1915 | | pagina 5