Gross=Brüsseler Wirtshausnamen u. Schilder.
'S GRAFENSTEEN IN GENT.
Der Besuch ist nicht die Hauptsache, sie hat vor allen Din
gen Gelder einzukassieren. Ihr Mann ist an der Front, und
man hat seine geschaftlichen Forderungen noch nicht be-
glichen. Ich habe das Geld dringend nötigerklart sie
nachdrücklich. Der passschreibende Soldat aber meint, das
könne sie ja auch durch die Post besorgen. Nun rauscht sie
zu dem unterzeichnenden Offizier, dem das Passamt unter-
stellt ist. Aber auch hier nur ein bedauerndes Achselzucken.
Sie muss unverrichteter Sache fortgehen. Nun, nach ein,
zwei Wochen wird sie wieder kommen. Der durchaus nicht
von kleinlichen Bedenken geplagte Bürgermeister wird ihr
bescheinigt haben, dass sie Handlerin ist. Sie wird auch
nicht in grosser Toilette erscheinen, sondern recht einfach
und hat allerlei Einkaufe in Brüssel zu erledigen. Und nie
mand kann ihr nachweisen, dass sie etwa nicht das Geschaft
ihres Mannes übernommen hat. Die Verwandelungsmöglich-
keiten in beruflicher Beziehung sind in Belgien fast ohne
Schranken.
(Schluss folgt).
An den Wirts- und Gasthausnamen Bruessels laesst
sich besonders gut erkennen, wie die Verwelschung des
urspruenglich vlamischen Wesens in Brabant zu Laecher-
lichkeit und Verwischung koestlicher Eigenart gefuehrt hat.
Dem, der lange in Paris gelebl, fallen sofort gewisse ueber-
schwaengliclie Bezeichnungen der Wirts- und Gasthaeuser
auf. Cosmopolite Elite und dergl. mehr wuerden
als Benennungen von oeffentlichen Lokalen in Paris un-
moeglich sein. In Bruessel aber sind solche Elative
gang und gebe. Wenn sie nicht ausreichen, werden fran-
zoesische und englische Bezeichnungen einfach herueberge-
nommen, obne Ruecksicht darauf, ob sie fuer die Art und
den Ort auch passen. Man merkt da nicht nur die Vergroe-
berung, sondern auch die Verkennung der franzoesischen
Art, die die guten Bruesseler doch so gern als ihre eigene
in Anspruch nehmen. -
Daneben zeigt sich wahllose Heruebernahme von Be
zeichnungen aus dem Vlamischen ins Franzoesische in den
zahlreichen Namen farbiger Tiere fuer Gasthaeuser und
Schaenken. Gewiss sind einige soleher Bezeichnungen wie
goldener Loewe oder weisses Pferd in Frankreich
auch zu finden. Aber die groteske Buntheit der Tiere wie
gruener Hund rote Katze gelber Star usw.,
wie man sie in Bruessel in franzoesischer Uebersetzung an-
trifft, entstammt ganz zweifellos dem Vlamischen und
mutet im Franzoesischen fremdan.
Es gibt indessen auch noch viele vlamische Tierwirts-
hausnamen. In diesen werden den Tieren oft drollige Eigen-
heiten zugeschrieben, die sie dann auch auf den Schildern
zur Schau tragen. Man flndet da beispielweise In de
visschende Kat (Zur fischenden Katze), In den manken
Haan (Zum lahmen Hahn Darf man in dem letzteren
vielleicht nicht gar eine Verspottung des wallonischen und
franzoesischen Wappentieres erblicken
Wenig angenehm wirkt die Verwelschung bei den derb
vlamischen Bezeichnungen fuer Volksschaenken, die beson
ders mit dem Wort Moeder (Mutter) zusammengesetzt
sind. Fast ueberall in dor Stadt Bruessel, wie in den umlie-
genden Ortschafton, besonders in den von Sonntagsgaesten
besuchten, trifft man Gartenlokale, die zur Moeder Lam-
bic oder zur Moeder Cramique heissen. Die Bezeich-
nung Vader" findet man nur ausnahmsweise. Merkwuer-
dig ist, dass von den heimischen Bieren nur das Lambic
fuer solche Bezeichnungen gewaehlt wird, nicht aber die
anderen Bruesseler Getraenke wie Brune Faro und
Gueuze Cramique bedeutet Rosinenbrot. In de
Moeder Lambic und In de Moeder Cramique hoert
sich behaebig einladend an aber bei der Umtaufe dieser
alten Wirtshausnamen in A la mère lambic und A la
mère cramique schwindet der Reiz ganz.