Publikum gierig schnappt. Auf einem anderen
Blatte sehen wir an einem Gemiiseladen die verlocken-
de Ankiindigung Kartoffeln 1 kg 12 Centimes Wer
aberindas Geschaft hineinwill, hat zunachst einmal j
20 Centimes Eintrittsgeld zu zahlen Im Wettiauf
eilen wohlbeleibte Hausfrauen zum Kaffeegeschaft,
wo eine Hand hinter der Ladentheke hei cine Strippe
an der Preistafel zieht, die die Kaffeepreise in jedem
Augenblick höher steigen lasst. Ein Handler ver- j
kauft seine Seife auf einer Briefwage, und erschreckt
stammelt die Kauferin vor einem walnussgrossen
Haufen Um Gotteswillen. ist das für I Frank
Breitspurig stehtein Butterhandler neben seiner Was-
ser-Crême-Butter, die, wie ein Schild ankündigt, unter
Garantie 20 °/0 wirklich-wahrhaftige Butter enthalt und
für das kg nur 8 Franken kostet. Er weiss. nach dem
Krieg wird er ein gemachter Mann sein. Wie hat
die Zeit so Manches gewandelt. Gliicklich steht ein
iunges Ehepaar vor einem fiirstlichen Hochzeits-
geschenk, einem Korbchen, das mit Butter, Seife und
allerlei Essbarem gefüllt ist. Die junge Frau aber hat
statt der Perlen eine Kette allerliëbster kleiner Frank
furter Würstchen um den Hals gescblungen. Die
Stadt-VerWaltung muss wohl einmal den Versuch
gemacht haben, die Stadt mit grosseren Kartotfelmen-
gen zu verproviantieren. Nach der Zeichnung mit
wenig Erfolg. Da sehen wir einen Polizisten mit einem
ganz, ganz kleinen Spielzeug-Wagen voll Kartoffeln.
Der stadt. Beamte, der diese gewichtige Ladung
abnehmen soli, muss ein Vergrösserungsglas hervor
holen, um sie zu entdecken.
Andere Blatter schildern die Verzweiflung der
Beamten, die s. Zt. die Personal Ausweiskarten aus-
stellen mussten, als das Publikum sich zu tausenden
und abertausenden gegen ihre Schalter drangte. Wie
er der Beschlagnahme seiner Matratzen vorbeugt,
zeigtuns ein findiger Geschaftsmaim. Er hat ihrer eine
ganze Anzahl iibereinander g Limit und oben darauf
seine Lagerstatt eingerichtet. Worn er nun auch mit
der Leiter ins Bett steigen muss, er kann doch behaup-
ten. dass die Matratzen alle inem persönlichen
Gebrauch dienen. Gradezu \Qrtrefflich ist eine der
schlampigen Zeitungs Verkaufermnen wiedergegeben,
die mit einer wahren Quadrat-Schnauze, wie man
derb-soldatisch zu sagen pflegt, ihre Zeitung La
Belgique ausruft.
Und von den Deutschen nichts? Nun, wir sind
gewiss, dass auch an ihnen die Zeichner mit ihrer
spottgelrankten Feder nicht vorbeigegangen sind.
Aber das wagt sich nun natürlich nicht ans Licht und
harrt ungeduldig auf die Zeit, da dies gefahrlos
geschehen kann.
Strassenleben.
Für den, der mondenlang in der Stille der flan-
drischen Kleinstadte und Dörfer gelebt hat und wie
totenstille bat sie der Krieg gemacht bildet Brüssel
immer wieder eine Ueberraschung Denn wenn er aus
dem Portal des Bahnhofs tritt, umbraust ihn plötzlich
der rauschende volle Lebensstrom, der die Adern der
Stadt immer noch in voller Starke durchpulst, und auf
einen Augenblick muss er verweilen. um das Ohr an
die ungewohnte Melodie zu gewöhnen.
Der Krieg ist niemals von grossem Einfluss auf
das Aeussere der Stadt gewesen. Zu Anfang, nun ja
ein paar Tage hatte man sich von dem überraschenden
Erscheinen der Deutschen erholen müssen, aber man
tand sich schnell zurecht und die alte frohe Lust am
Leben, die diese Stadt wie keine andere füllt, siegte
bald und immer mehr. Und wenn wirklich auch in tau
senden Familien Armut und Not herrscht, Brüssel
würde sich das wie eine wohlerzogene Dame, die auch
mit hungerndem Magen zu reprasentieren weiss, nie
mals merken lassen. Concerte, Theater, Kinos, wohl-
gefüllte Schaufenster, gutbesuchte Conditoreien,Café's
und Restaurationen und auf den Strassen der volle
Strom modisch gekleideter Menschen.
Die Zeitungs-Verkauler schreien noch immer ihre
Zeitungen aus, deutscheund belgische, unter letzteren
den Bruxellois den der Volksmund Berlinois
spottend getauft hat,weil er ihm sehr deutschfreundlich
zu sein scheint. Wenn er sich unbelauscht walmt, flickt
ein besonders dreister Junge auch noch französisch
einige Randbemerkungen ein wie Grosser Sieg der
Russen Aber auf solche Matzchen fallt das allzuóft
genasfiihrte Brüsseler Publikum nicht mehr hinein, es
kennt den Zweck des Manövers und kauft nicht eine
Zeitung mehr. Auch hollfindische Zeitungen kann man
hier haben, im Etappengebiet sind sie verboten.
An den Anblick des Feldgrau hat man sich ge-
wöhnt, höchstens findet noch einer der Kürassiere von
des Gouverneurs Leibtruppe in seiner weissen Uni
form Aufmerksamkeit. Patissiers KuchenbÉicker
hat sie der Brüsseler getauft, und der bishervon seinen
Kameraden als Mehlsack" Bezeichnete, wird über
diese Rangerhöhung mit Dank quittieren. Der allge-
meinen friedlicheren Stimmung tragt auch der Feld-
graue Rechnung und lasst nun sein Gewehr, das er
sonst den ganzen Tag mit sich herumschleppen musste,
bis zum DunkelWerden zu Hau.se. Dann allerdings
(Tarf er ohne die elende Knarre wie er undankbar
seine treue Beschützerin nennt, nicht mehr ausgehen.
Gott sei Dank ist die Elektrische noch immer für ihn
frei, in Gegensatz zu vielen anderen Orten z. B. Gent,
wo jetzt 5 Centimes für den Mann erhoben werden.
Und der durch den vielen Wache- und Exerzierdienst
arg belastigte Landser macht bei den weiten Entfer-
nungen von ihr gern Gebrauch.
Viele belgische Wirtschaften haben sich auf den
Besuch deutscher (jaste eingerichtet. Neben der fran-
zösischen führen sie eine deutsche Speisekarte und mit
den Kellnern kann man sich schon ganz gut verstandi-
gen. Hier trifft man auch auf richtige deutsche Stamm-
tische mit alten würdigen Herren in Civil, bei denen
mancher Brüsseler Stadtvater und deutscher Heeres-
führer mit Erfolg in die Lehre gehen könnte. Es sind
einheimische Deutsche, verstarkt durch Herren der
Civil Verwaltung, Eisenbahn, Post und was sonst noch
in Civil in der Stadt zu finden ist. Auch für den ein-
fachen Soldaten fehlt es nicht an deutschen Kneipen,
die meistens in den Handen deutscher Pachter sind
und alt-vertraute Namen wie z. B. Zum bunten
Rock" und Alt Heidelberg" führen. Bei Musik
und allerlei meist recht anspruchslosen Vorführungen
trinkt er hier seinen Schoppen deutschen Bieres,
von denen allerdings zweie seinen Tagesverdienst ver-
schlingen. Hier trifft er sich auch mit Madeleine,
Jeanettchen, Flora oder wie die Schone heisst, die's
ihm angetan hat. Leichte Faden werden angespon-
nen, die der Wind bald zerreisst. Soldatenliebe, die
von wegen ihrer Treue keinen Heller wert ist
Kühn ist das Mühen, herrlich der Lohn
Und die Soldaten - ziehen davon.