sich aus den wenigen Nachrichten ein ganzer Strauss
blühendsten Unsinns binden. Nur ein paar Blüten
So etwa würde ein Kind bei uns schreiben, das
ganz unklare Vorstellungen vom Krieg hat. Selbstver-
standlich muss jeder Leser sagen Was für dumme
Kerle sind doch diese Deutschen.
Dabei muss man bedenken, dass dieses 7 Wochen
nach Ausbruch des Krieges geschrieben wurde, als
2/3 von Belgien besetzt war und unsere Soldaten tief im
Norden Frankreichs standen.
Was wusste man in Belgien von Deutschland
Dass es in industrieller Beziehung Gutes leistete. hatte
man wohl an den vielen Dingen, die aus Deutschland
hereinkamen, vor Augen. Imiibrigen aber wusste man
nichts von dem Lande der Dichter und Denker, das
stolz aul die Höhe seiner Kultur sein durfte. Man
wahnte sich kulturell weit überlegen. Der Belgier hat
allen Ernstes an die Barbaren" geglaubt, und sich
das Land etwa so vorgestellt, wie alte Weiber bei uns
das wildeste Russland.Ganz unklare Begrifte hatte man
von unseres Vaterlandes Grosse und Volkszahl. Man
war ganz überrascht, dass der Strom der Heere, der
sich durch Belgiens Fluren walzte, ichier unerschöpf-
lich schien und glaubte noch lange Monate nach
Kriegsbeginn, sich dies nur so erklaren zu können,dass
zu Tauschungszwecken dieselben Regimenter im
Lande herumgeführt würden. Nichts wusste man
ich spreche immer von der grossen Masse von
Deutschlands Vergangenheit, von der ruhmvollen Ge-
schichte und den herrlichen Siegen seiner Heere. So
nur konnten sich von den Zeitungen unterstützt
übertörichte Vorstellungén von unseren Truppen fest-
setzen Mangelhafte Bewaftnung. schlechte Kleidung,
kriegsunlustig, feige im Nahgefecht u. a. m Hand
in Hand damit ging ebenfalls aus Unbildung eine
gewaltige Ueberschatzung der eigenen Machtmittel
und der der Verbündeten. Jeder glaubte lest daran,
Deutschland ist bald zu Boden gezwungen, und an
dieser Ansicht konnten auch die ersten deutschen
Erlolge nichts andern. Es ist wohl sicher, dass viele
Ausschreitungen der Bevölkerung, die ihr so teuer zu
stehen kamen, vermieden worden waren, wenn sie mit
hellerem Bliek die erhaltnisse überschauen und mit
mehr Einsicht den Gegner hatte beurteilen können.
Mangelnde Schulbildung. Wie racht es sich nun
jetzt bitter, dass die Regierung das Volk in Stumpfheit
und Dumpfheit dahinleben liess. Draussen rollen die
eisernen Kriegswürfel, die über die zukiinftige Gestal-
tung der Welt entscheiden werden, auch und vor allem
wohl über Belgiens Schicksal. Man sollte meinen, mit
verhaltenem Atem verfolge man hier die Ereignisse.
Nichts von alledem. Gleichgiiltig steht man dem Völ-
kerringen gegenüber. Nur ein Wunsch lebt in aller
Herzen Möchte doch die nun fast verstopfte Quelle
des Erwerbes wieder in alter Weise iliessen und die
Zeit wiederkehren, da wohlgefüllte Kochtöpfe auf den
Herden dampften, das Bier in den Krügen nicht alle
wurde und man die Feste feierte, wie sie helen. Dann
soil es gleich sein, wer Herr im Lande ist: der Englan-
der, Deutsche, Franzose oder die Herren von
Le Havre. Tausendfach kann man's horen.
Gewiss, ein gewisses Anhanglichkeitsgefühl für die
Heimat ist dem Belgier, vor allem wohl dem Vlamen,
nicht abzusprechen.Welches Volk hatte das aber nicht.
Doch das ist nicht das, was wir unter Vaterlandsliebe
verstehen. Vaterlandsliebe kann nur emporwachsen
aus einem tiefem Verstandnis für die Heimat, wie ich
einen Menschen erst in rechter Art lieb gewinne. wenn
ich seine Wesensart erforscht habe. Lassen wir hier
einmal das Problem Belgien, diese eigenartige Ver-
schmelzung von zwei Vaterlandern, beseite, halten wir
uns nur an Vlamland. Wer hat seiner Jugend etwas
erzahlt von des Volkes ruhmvoller Vergangenheit, von
dem Tag der Güldenen Sporen von der Zeit Jacobs
von Arteveldes und Kaiser Karl V. Wer hat ihrer
Seele die Schönheit des fruchtbaren Landes nahe
gebracht und ihren Sinn empfanglich gemacht für die
Herrlichkeit seiner alten Stadte, Denkmaler und Bau-
ten Wer hat sie zu dem frischen Born heimischer
Dichtung geführt. und durch den Gesang alter trutziger
Lieder von Vaterland und Freiheit ihre Herzen be-
geistert
Nun wird die ehemalige belgische Regierung
ernten, was sie gesat oder vielmehr sie wird nichts
ernten, weil sie nicht gesat hat. Das Unkraut Teilnahm-
losigkeit wachst auf dem Acker der belgischen Volks-
seele.
Was ist ihr der Krieg
Ein Streit der Grossen miteinander, bei dem man
sich der unbequemen Sozialisten entledigen kann, oder
ein Kampf des Kapitals, bei dem die Kleinen das aus-
essen müssen,was sich die Grossen eingebrockt haben.
So malt sich in den Hirnen des ungebildeten Volkes
dieses gewaltige Ringen ab. Armes Belgien, also dafïir
fechten deine Soldaten schon 20 Monate lang
Mangelnde Schulbildung Wie lange noch wird
das Land unter ihren Folgen zu leiden haben. Die all-
gemeine Schulpflicht allein tut's auch nicht. Was kann
d i e Schule leisten, der das Elternhaus feindlich oder
mindestens gleichgültig gegenüber steht Erst dann,
wenn sich auch hier die feste Ueberzeugung die ja,
Gott sei Dank, in einem deutschen Hause seiten fehlt—
durchgesetzt hat,dass eine gute Bildungund Erziehung
das Beste ist, was man seinem Kinde mit auf den
Lebensweg geben kann, erst dann wird die Schule
ihres Amtes in Segen walten können. Bis dahin aber
fliesst in Belgien noch viel Wasser die Schelde
hinunter. n.
Die Deutschen sincl unter sich uneinig.
Rayrische Regimenter haben in Brüssel mit preussischen und in
Lövven mit sachsischen blutig gelochten. Zahlreiche Tote auf beiden
Seiten (Man bedenke ganre Regimenter I)
Die Deutschen gefoppt. Bei Denderleeuw (nahe bei
Aalsp ist die Eisenbahnbriicke von Belgiern gesprengt worden Die
Deutschen haben trotzdem sie die betreffende Bahn schon seit
Tagen benutzen nichts davon gehort und gemerkt. Ihr Proviant-
zug, der Esswaren zurn Heere in Hennegau bringen sollte, kam an,
blieb vor der Brücke halten. Da erst steilten sie fest. dass die Brücke
über den Dender fliegen gegangen war. Sie standen geraume
Zeit bedrückt da und dann machten sie aus der Not eine Tugendund
kehrten nach Brüssel zurück. Natürlich hatten nun die deutschen
Truppen in Hennegau am folgenden Tage nichts zu essen
Deutschland hat kein Geld mehr. Deutschland
hat Bankiers in Amerika beauftragt, eine Anleihe von 250 Millionen
Dollars unterzubringen. Amerika aber wird ihm was pfeifen
Die Russen stehen vor Breslau, der Fall der Stadt wil d
jeden Augenblick erwartet.
Der Eindruck der deutschen Niederlagen im
Land e. Es sind Schweizer Blatter über die Grenze nach Deutsch
land geschmuggelt worden. Die Zeitungen gehen in der Bevölkerung
von Hand zu Hand. Aus ihnen hat nun endlich das schwer belogene
Volk die Wahrheit erfahren, namlich die schweren Niederlagen, die
die deutschen Waffen in Ostpreussen, Elsass und Frankreich erlitten
haben. Darauthin Zusammenrottungen an verschiedenen Orten, das
Volk ist sehr in Angst und droht mit Aufstand. Es zieht durch die
m Strassen, Aufschriften werden getragen, die fordern Sagt uns die
Wahrheit Gebt uns keine falschen Berichte