Bïlder aus dem Leben in der Etappe. schaft. In seltener Eintracht entfalten beide, zugleich und nebeneinander, ihre Macht. In der beruhigten Abstimmung der in der Höhe wie nach der Breite gleicherweise wirkenden Massen schöpfen die Meister der belgischen Hallenbauten die kostbarsten Reize künstlerischer Ausdruckswirkung. Die Freiheit und Treffsicherheit ihres Blickes übertrifft alle Vorstellung. Mit unbedingtem Selbstvertrauen fügen sie den gewal- tigen Körper des majestatischen Belfrieds der hinge- lagerten Masse der eigentlichen Halle ein. Und der Hallenbau ist nicht etwa nur der Sockel, aus dem der ragende Turm aufwachst. Die Halle hat wie der Bel- fried ein eigenes, selbstandiges Leben. Sie wirkt in der sinnvollen Gliederung ihrer Massen ganz für sich auf sich selbst gestellt und in sich gefestigt. Wie selbstverstandlich, wie natiirlich gewachsen, kristallisch klar im einzelnen wie im ganzen, so ver- schmelzen beide, Belfried und Halle, zu untrennbarer Einheit. Zu einer Geschlossenheit und Macht der Wirkung, die, iiber sich selbst hinausweisend, in selt- samer Eindringlichkeit den Platz beherrscht, dessen Saum sie schmückt, wie zugleich das in der Ebene ruhende Stadtbild. Solche reiche Verschlungenheit der Eindrücke lasst die Grosse der sieghaften Selbstsicher- heit und des schöpferischen Formwillens flandrischen Geistes ahnen. Die Kunst der Körpergestaltung, die Kunst der raumerfüllten Massen feiert auf nordischem Boden, in Ypern und Brügge, ihren höchsten Triumph. Und dennoch, neben dieser rein baukünstlerischen Gesinnung, die mchts anderes will als straffste For- mung des Baukörpers, entfalten sich behende die beweglichsten Machte vlamischen Kunstsinnes die malerischen Neigungen, die letzten Endes auf weit- gehende Auflösung der Formen durch milde Verschlei- fung der Grenzen und tausendfaltig im Licht spielende Schatten hinzielen. Es ist der alte germanische Form- sinn, der rücksichtslos seinen Anteil am Werden der Formen verlangt. Die Eigenwilligkeit germanischen Sinnes behalt in Flandern trotz des früheren Hanges zu französischer Bildung die alte Keimkralt die ursprünglich deutsche Neigung zu dem Ungleichmassigen in Aufbau und Gliederung, der Widerwille, gleichsam von einem Punkte aus gleichmassig nach rechts und links, nach oben und unten sich das Spiel der Formen entwickeln zu lassen. Die irrationale, unberechenbare, gefühls- massige gotische Flachenteilung stellt sich mit Be wusstsein in Gegensatz zu der durchsichtigen, kristal- lischen Klarheit einer einheitlichen, symmetrischen Gestaltungsweise,der die Renaissance der romanischen Rassen in gedanklicher Schürfe sinnfallige Form gab. In der Zweizahl der Eingangstiiren der Rathauser in Brügge, Löwen und Brüssel und des Fleischhauses in Ypern ist dieser Hang zu ungleichartig malerischer Gliederung ebenso sichtbar wie in der seitlichen, aus der Mittelachse gerückten Stellung des Belfrieds der Rathauser in Alost, Termonde, Brüssel. Aus der Ver- teilung der Massen des Baukörpers spricht der stolze niederlandische Freiheitsdrang, der sich in der male- risch bewegten Auflösung grosser, festgefiigter Form- einheiten auslebt. In der unversieglichen Lust des Belgiers, durch plastische Zierformen aller Art den Baukörper durch möglichsten Anteil malerischer, wechselvoller Licht-Schattenwirkung aus gebundener Starrheit und grossflachiger Klarheit zu lösen, flndet diese Gesinnung ihren schönsten Ausklang. 9. In der Etappen-Telefonie. Wahrend in Friedenszeiten eine ganze Reihe von Beamten und Beamtinnen notwendig war, um den Telegrafen- und Fernsprechdienst in unserer belgi schen Mittelstadt zu versehen, genügen jetzt für diesen Zweck drei Landsturmleute, die zudem gar nicht ein- mal eine berufliche Vorbildung genossen haben. Statt des dichten Drahtnetzes, das sich sonst von der Stadt aus zu allen Dörfern und Nachbarstadten hin spannte, nur ein paar Strange nach den benachbarten grosseren Orten und ein paar Doppelleitungen nach unserer Etappen-Zentrale-Gent und nach der Landes-Zentrale Brüssel. Statt der Menge der Ortsteilnehmer, die sich auf mehrere hundert belief, nur etwa 20 Ortsan- schlüsse, die militarischen Behörden der Stadt. Statt eines Saales voll ratternder Apparate, nur ein Klappenschrank, der in einem Nebenzimmerchen der Postanstalt auf einem Tisch steht. Ehe die Belgier ihre Orte dem Feinde iiberliessen, haben sie natürlich das Leitungsnetz und die Apparate gründlich zerstört, und die Deutschen haben nur das wiederhergestellt,was sie für ihre Zwecke gebrauchten. D. h. sie konnten alles gebrauchen. Mancher Apparat, der einst im Frieden eines Wohnzimmers hing, tut nun seine Schuldigkeit im Schützengraben unter dem Don- ner der Kanonen, und die zerrissenen Drahte rollte man sorgfaltig zu weiterer Verwendung auf. Im Orte selbst wurde nur das wiederhergerichtet, was militari- sche Bedürfnisse erheischten. Für die Bevölkerung hat jedes Fernsprechen und -schreiben aufgehört, und auchrdie Militafbehörde bedient sich nur des erstèren. Frühmorgens. Rrrrr.... Der diensthabende Land- sturmmann, der des Nachts wiederholt in seinem Schlummer gestort wurde, fahrt auf. Schockschwere- brett schon 7 Uhr. Natürlich Brüssel. Morgen Morgen. Ich will die Leitung prüfen, wecken Sie mal nach hier Gut, alles stimmt. Die Leitung ist wahrend der Nacht unversehrt vor Wetter, Wind und Dieben geblieben. Auch Gent fragt an. Alles in Ordnung. Himmel ist das kalt. Schnell den Ofen an, gelfiftet, die Stube gekehrt und Staub gewischt (Die Frau müsste das mal sehen Nun kommt auch der ablö- sende Kamerad mit dampfender Kaffeetasse und dickbestrichener Marineladenstulle in der Hand. und des Tages Arbeit kam beginnen. Halloh, Brüssel Ach geben Sie mir bitte, die genaue Zeit. Das ist sehr nötig, die belgischen Turm- uhren sind namlich, seitdem sie die mitteleuropaische Zeit angeben müssen, völlig aus ihrem seelischen Gleichgewicht geworfen worden. Den Ortsbehörden wird die erfragte Zeit weiter gegeben, gleichzeitig kann sich der Telefonist bei dieser Gelegenheit von dem guten Zustand der Leitungen zu ihnen hin überzeugen. Nun hört das Geklingel und Gerappel nicht auf. Ein Teilnehmer nach dem anderen kommt, oft auch mehrere, aber für mehr als fünf Gesprache auf einmal 1st der Apparat nicht eingerichtet. Die angeschlossenen Kompanien wollen mit dem Bataillon sprechen und umgekehrt.. Kommandantur, Feldpolizei, Hafenamt, Stafette, Kriegsgericht, Etappen-Magazin, Bahnhof, Postamt alle haben miteinander zu verhandeln oder wol len nach auswarts verbunden sein. Der bedienende Land- sturmmann hat alle Hande voll zu tun, aber er weiss

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Landsturm | 1916 | | pagina 5