Aus unseren Tagen.
Das Auto.
Allerlei aus Belgien.
nerweise, als letztes Mittel die allgemeine Wehrpflicht,
den Grundpfeiler des bitter verhassten deutschen
Militarismus, einfiihren miissen.
In Frankreich atmet man auf und jubelt man. Wir
sind gewiss, dass es dazu nicht viel Ursache hat.
Asquith's Presse hat selbst oft genug zahlenmassig
nachgewiesen, dass auch England mit seinem Mann-
schaftsbestand nahe am Ende ist. Asquith hat öffentlich
erklart, dass das Land 5 Millionen Mann (natürlich
rechnet man samtliche Arbeiter in den Kriegs-Werk-
statten und alle andere Ivriegs-Hilfs-Krafte mit) aufge-
bracht hat und dass das neue Wehrpflichtgesetz nur
einige hunderttausend Mann mehr bringen könne. Mit
der Eile, die nach den französischen Alarmrufen so
dringend not tut, hat's aber auch noch gute Weile. Die
neu ausgehobenen Leute müssen erst ausgebildet wer
den und der grosse Mangel an Offiziere wird ihrer
Ausbildung nicht gerade förderlich sein. Deshalb baute
auch Asquith gegenüber allzurosigen Hoffnungen vor,
wenn er sagte Es soli jetzt ein allgemeiner und sofor-
tiger Wehrzwang eingelührt werden, ohne dass
man deshalb eine grössere Anzahl von
Mannsc halten zu erwarten hatte, oder
dass die Zahl des Ersatzes, den man braucht, in
merklich klirzerer Zeit zu haben ware.
Wozu dann aber die allgemeine Wehrpflicht. wenn
sie doch nicht viel an dem tatsachlichen Zustande
andern wird Nun, wir wissen es, es gilt wieder ein-
mal, Frankreich Sand in die Augen zu streuen. Wie
man dort den paar tausend Russen in Marseille zuge-
jubelt hat, so wird man auch an der frohen Botschalt
aus England sein Herz erquicken, bis die rauhe Wirk-
lichkeit auch hier dem enttauschten Volke die Wahr-
heit über die verzweiielte Lage des Vierverbandes
enthiillen wird. s.
Natürlich war es beschlagnahmt worden wie jüie
andern Privatautos im besetzten Flandern. Seine Reifen
hatten steinige Wege hoc'n zwischen uen Klippen der
Bretagne bin ter sich. Acb, war es nicht ein Flug über dem
ruhigen, wie zuckergussbetupften Meer gewesen Und
dann die zwei Pariser Tage In der Avenue de l'Opéra hatte
es einen kleinen Zusammenstoss gegeben, von dem die eine
Fensterscheibe, die linke, einen Sprung abbekommen hatte. 1
Ende Juli 1914 Und dann die Heiml'ahrt, die Zurückraserei.
Alles hatte der gute Wagen überstanden. Wochen kamen,
in denen man sich nicht um das Auto kümmerte. Für den
llerrn Baron gab es Wichtigeres. Und im Oktober geschah
das Wichtigste, dass namlich die Deutschen plötzlich am
Stadthaus die schwarzweissrote Fahne aufzogen. Wo waren
die Englander geblieben, die sich einige Tage vorher für ein
paar Stunden in den Strassen der Stadt gezeigt hatten
Neue Herren. Neue Befehle und Bekanntmachungen. Aber
im grossen und ganzen ging das gewöhnliche Leben seinen
friedlichen Gang weiter. Das sollte der Krieg sein Erst ein
Jahr spater bekam man ihn etwas mehr zufühlen Abgaben,
Einschrankungen in dei1 taglichen Lebensweise, Karten
über Karten. Das Auto stand still im Schuppen. Beschlag
nahmt. Dennoch unterliess es der Diener nicht, es regel-
massig flüchtig zu putzen. Und wenn er mittags seinem
Herrn Hut, Mantel, Stock vom Morgenspaziergang abnahm,
sagte er wohl in einem leisen Triumphe Die Deutschen
haben es vergessen Und der Herr Baron wusste ganz
genau, wer mit es gemeint war. Am Weihnachtsabend
1915 flüsterte der Diener Jetzt sind die Reifen ganz
dahin Und welche schone Reise batten sie in der Zwischen-
zeit noch machen können Die Etappen-Inspektion,
der Kraftwagenpark hat uns anscheinend noch nicht nötig.
Vielleicht ist der Krieg auch bald zu Ende. Unser Freund,
der Baron Beyens bemerkte die Baronin dazu. Dei'
flandrische Winter regnete sich unterdessen langsam in den
fiandrischen Frühling hinein. Und das Auto stand noch
immer im Schuppen. „Vergessen, vergessen triumphierte
der Diener. Aber an einem Apriltag 191(1 zeigte es sich, dass
die Deutschen doch nicht ganz so vergesslich waren. Sonne,
helle Sonne lag mittags über der Place, über dem in allen
bunten Farben leuchtenden Blumenmarkt, als ein Lastauto
mit einem grossen Anhangewagen vor der freiherrlichen
Villa vorfuhr. Ein Kraftfahrer, ein Unteroffizier, zog an der
Glocke des Hauses. Weissbeschürzt, tadellos glatt rasiert,
erschien dei' Diener. Er wusste, dass eine Abschiedsstunde
gekommen war. Schon waren sieben, acht Soldaten im
Schuppen Schon war das Auto ach. wie viel Hande
waren da mit einem Male tatig So schnell ging alles, wie
wenn Heinzelmannchen bei der Arbeit waren auf dem
Anhangewagen festgebunden, festgenagelt. Schon erklang
die Hupe, ganz kurz und ganz schrill. War es nicht, als ob
man einen lieben Toten aus dem Hause abhole zu seiner
letzten Fahrt Ein lieber Toter, dessen langsames Sterben
man seit Monaten als eine unabwendbare Gewissheit vor-
ausgesehen hatte und das, nun es endlich gekommen war,
dennoch schmerzhaft genug ans Herz griff. Der Herr Baron
und seine Gemahlin waren ganz still aus der Tür getreten.
Es galt einen Abschied für immer. Es galt die letzte Ehre
für etwas, das ihnen die letzten Jahre, die letzten Jahre vor
diesem unseligen Krieg, verschönt hatte. Stundeu, Tage
traten in klaren Umrissen aus der Vergangenheit. Weisst
du noch es war ach im April - Arco und der Gardasee."
Die Baronin wusste nicht, ob sie eben diese paar Worte nur
gedacht oder wirklich laut gesprochen hatte aber sie las
ebendieselben in den grossen Augen des Gatten. Unser
schoner Wagen zitterte es leise aus dem zusammenge-
kniffenen Munde des Dieners, der Fassung Fassung
langsam die weisse Schürze herunterstrich. Und dann war
auch schon das Lastauto und der Anhangewagen mit dem
lieben, lieben Toten darauf um die Ecke verschwundeu. Der
Tote, der in einigen Tagen, fern der Stadt, zu einem neuen,
vielleicht wie kurzem Leben erwachen würde. Auf der
Strasse zwischen Gheluvelt und Hooge vielleicht oder
sonstwo da um Ypern herum zwischen den Gewittern der
Scnrapnelle und Granaten. Von denen eine vielleicht die
Polster, das Eisen, den Motor, die Fensterscheiben, die
Rader, die Menschen, die Offiziere auf den Polstern aus-
einanderreissen würde in das Nichts, das so vieles verbarg,
was einmal Leben, Lachen. Lust gewesen war. Und lang
sam, ganz langsam trat der Baron mit seiner Gemahlin
wieder in das Haus zurück. Alle Blumenauf der Place hatten
ihre leuchtenden Farben verloren. Leise, ganz leise schloss
der Diener die 1 ür. Das Mittagessen heute würde noch
stiller als sonst sein
Die Ausstellung Kriegergrabmal und Kriegerdenk-
mal im Modernen Museum erfreut sich eines so starken
Besuches nicht nur seitens der Einwohner Gross-Bruessels,
sondern auch von Reisenden aus der Provinz, dass beschlos-
m
,,Köln. Zeitung."