*Sprachliches aus Flandern (Schiuss.) einziges Volk sind.Das Wort Rasse Ger mane kannte dieser Mann überhaupt nichtdes- halb gebrauchte er auch das eigentlich unrichtige WortVolk Wenn man nun aber noch weiss, dass ein Sohn dieses Vlameri unter französischer Fahne kampft, dann fühlt man erst recht die Bedeutung sei ner Worte. Ein Sohn Dr. Willi Stoewers aus Berlin erzahlte mir, auf wie vertrautem und freundschaft- lichem Fusse er und seine Kameraden mit der Bauern- bevölkerung von Ettelghem stehen. Das ganze Flandern, mit Ausnahme vielleicht von der Ostecke von Brabant und der ausserordentlich erbitterten Aristokratie, Plutokratie und ihrem zahl- reichen Anhang, fühlt, ohne viel Worte dabei zu machen, einen unbewussten Pangermanismus und der Deutsche empfindet dasselbe. Heimatliche Luft weht ihn in Flandern an, kalt und fremd fühlt er sich in Wallonien. Wir wollten hören, ob sich in der Entwicklung unserer Muttersprache Gesetze auffinden lassen. Wir betrachten dabei heute nur einige Mitlaute. Es ist uns alien schon aufgefallen, dass man im Norden des deutschen SprachgebietesjDis nach Ffandern hinein ik, paard und water» spricht, wahrend man in Mit- tel- und Süddeutschland ich, Pferd und Wasser sagt. Lieber KameradWenn Du auf Urlaub fahrst, dann führt Dich die Eisenbahn etwa langs der Schei delinie der beiden gekennzeichneten Sprachgebiete. Sie geht namlich von Aachen nach Cassel herüber und dann weiter nach Magdeburg. Wir stellen für usere Betrachtung wieder vlami- sche und hochdeutsche Wörter einander gegenüber dal-Tal, deel-Teil, daad-Tat, deugd-Tugend, deur-Tür, dauw-Tau. dans-Tanz, daags-taglich, dooden-töten, doen-tun, dragen-tragen, drinken-trinken, dol-toll, droe- vig-trüb, traurig, duizend-tausend. Die vlamischen Wörter sind die alten Formen. Bei der Bildung des Hochdeutschen ist also das_d durch ein tersetzt worden. Eine andere Gruppe prüfen wir: uit-aus, voet-Fuss, takken-Zacken, tang-Zange, goot-Gosse, ketel-Kessel, genoot-Genoss, vertoornen-erzürnen, tand-Zahn. Wir erkennen hierAus dem tist ein s, ss oder z geworden. d—t—ss sind also in dieser Reihenfolge Wegweiser im Werdegang unse rer Muttersprache. Wir betrachten weiterbrug-Brücke, drogen-trock- nen, geen-kein, terug-zurück fernerblik-Blech, vak- Fach, knokkel-Knöchel, rook-Rauch, pek-Pech, snor- ken-schnarchenrekenen-rechnen rijk-reich. Wir fin den Das niederdeutsche g wird zum hochdeutschen kdas niederdeutsche k aber zum hochdeutschen ch Eine zweite Wegweiserreihe ist also g, k, ch Wir stellen drittens zusammen rib-Rippe, plukken- pflücken, gaper-Gaffer, appel-Apfel, poot-Pfote, streep- Streif, schepper-Schöpfer, sap-Saft, rijp-Reif. Wir er kennen hier den Weg «b nach p, nach f Mit den gebrachten Nachweisungen soil nun nicht etwa gesagt sein, dass alle b im Vlamischen in unserm Hochdeutsch zu p - Lauten geworden oder alle d zu tu. s. w. Lieber Kamerad Du wirst sicher selbst noch eine ganze Reihe von Bei- spielen zu den meinigen hinzutun können. Wir be denken aber auchNicht alle Eichen werden bei gleichem Alter gleich hoch, und die Saat wird nicht überall zu gleicher Zeit geschnitten. Das Wachstum bleibt aber Gesetz trotz aller Hindernisse, die wir kennen und nicht kennen. Die Kenntnis des oben angegebenen Lautgesetzes ist für mich für die Erlernung des Vlamischen von grossem Nutzen gewesen. Hierfür einige Beispiele. Ich höre oder lese gebed, gebied, gebitund sage mirAus d wird t, aus t wird ss. So erhalte ich Gebet, Gebiet, Gebiss. In den Strassen verkauft man nooten. Wir wissen alleEs sind Nüsse. Die Musiknote wird nun flamisch auch mit nootbe- zeichnet. Sie mag auch für den Anfanger in der Musik als Nuss durchgehen, die geknackt werden muss, damit die Not ein Ende hat. Doch werden wir wieder ernst. Die Vlamische nood mit d geschrieben ist unsere hochdeutsche Notmit dem tWir betrachten die Wörter heden, heet, heeten, hitte Die Uebertragung ist nicht schwerheute, heiss, heis- sen, Hitze. Der Vlame ist dapper, der Hochdeut sche tapfer. Hier haben wir für unser Gesetz zwei Beispiele in einem Worte (d wird t und p wird f). Nun hat man in Flandern auch das Wort tapper. Es kann unmöglich denselben Sinn wie dapper haben. Versuchen wir es mit dem Gesetz, und wir kom men auf das hochdeutsche Wort Zapfer - Schenk- wirtIch denke an meinen lieben Kameraden Zapf in G., der auch wirklich ein Gastwirt ist. Ich gebe noch einige Beispiele, in denen das Gesetz zwei Fliegen mit einer Klappe schlagtboekweit-Buch- weizen, pepermunt-Pfeffermünze, voetpad-Fusspfad. In meiner Heimat und in meiner Kindheit nannte ich einen Baumzweig einen Zeiken Hochdeutsch ist das Wort nichtich suche es vergeblich im Wör- terbuch. Es ist offenbar verloren gegangen. Seine alte Form telghabe ich in Flandern aber wie- dergefunden. So lernt man in der Feme die Heimat verstehen. Das Schicksal hat mich aus Flandern nach Cassel- Niederzwehren verschlagen. Bald nach meiner An- kunft suchte ich in dem Gewirr der alten Giebel- hauser in Alt-Cassel in der Wildemannsgasse die Gedenktafel mit dem Bildnis der Viehmannin jener 6chlichten Bauersfrau aus Zwehren, deren Erzahlun- gen als Grimm'sche Kinder- und Hausmarchen zu einem der höchsten deutschen Volksgüter geworden sind. In dem Hause mit der Gedenktafel wohnten vor hundert Jahren die Brüder Grimm, zwei Manner, die sich treu geblieben sind in ihrem deutschen Wesen, das kindlich reinen Sinn mit Mannesmut vor Königs- thronen paarte. Der altere der beiden, Jakob Grimm, hat das Gesetz der Lautverschiebung zuerst erkannt, von dem in diesen Zeilen die Rede war. I. D. Domela Nieuwenhuis-Nijegaard Aus Flandern vom siidlichen Zwang befrelt. Qefr. Helmbold 4. Komp. 4. Ldst. I. E. Batl. [XI. 15[

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Landsturm | 1916 | | pagina 2