Erntekornmissionen, bestehend aus zwei Militaer-
personen (Landwirten) und einem Mitglied der betr. Gemeinde,
werden den Ernteertrag kurz vor ihrem Beginn abschaetzen.
Anders als im Vorjahre, wird dieses Jahr die Gesamternte
abgeliefert bezw. den Kommandanturen zur Verfuegung ge-
I stellt und dann wieder entsprechend der Bevölkerungszahl in
Mehl, Kleie fuer die Menschen und in Heu, Stroh, Haferfuer
das Vieh zurueckgegeben. Im Einzelnen
Saemtliches Heu gilt als beschlagnahmt, ein Drittel erhal-
ten die Landwirte zurueck. Es ist anzustreben, dass wir auch
einen zweiten Schnitt hereinbekommen, der ganz den Besitzern
verbleiben soil.
Vom Stroll erhalten die Landwirte die Haelfte.
Alles gedroscliene Getreide wird nach spaetestens
drei Tagen an den Buergemeister abgeliefert, der darueber
genau Buch fuehrt Davon wird 44 kg. fuer den Kopf der
Bevoelkerung an das Huelfs-Komitee abgeliefert, die es in
bestimmten, unter Kontrolle stehenden Muehlen mahlen laesst.
Alle anderen Muehlen werden behoerdlich geschlossen. Der
ueberschiessende Lrtrag der Koernernte wird der Komman-
dantur ueberwiesen. Die Gerste wird ganz abgenommen. Vom
Hafer wird den Gemeinden fuer jeden Tag und jedes Pferd
1 kg. zurueckgegeben.
Es verbleibt den Landwirten als Saatgut fuer den Hektar
je 160 kg Koggen und Gerste, 170 kg. Weizen und 150 kg
Hafer.
1/4 des Getreides ist abzuliefern am 15. Sept. 1/4 am 1
November, 1/4 am 1 Dezember und der Rest am 1. Jan. 1917
Raps ist ganz beschlagnahmt, als Aussaat wird 10 kg fuer
jeden Hektar zugestanden
Saemtliche Zahlungen erfolgen puenktlich in barem
Gelde
Ab und zu fuegt der Redner Erlaeuterungen oder
Ermahnungen ein und redet zum Schluss den Her
ren kraeftiglich ins Gewissen, alle Punkte der Ver-
ordnung genau zu befolgen undkeine falschen An-
gaben und Schiebereien zu dulden. Er habe das
Kriegsgericht angewiesen, mit den haertesten Stra
ten, die gesetzlich zulaessig sind, gegen diejenigen
vorzugel en, die sich gegen diese Ernte-Bestimmun-
gen etwas zu Schulden kommen lassen wuerden.
Der Kommandant hat seine Ausfuehrungen been-
det. So, nun mag jeder zur Sache das Wort neh-
men. Viel kommt nicht dabei hetaus. Jeder weiss ja,
die Verordnung der Etappen-lnspektion ist der un-
beugsame Wille des Siegers, der das eroberte Land,
das reiche Flandern, seinen militaerischen Beduerf-
nissen nutzbar machen will und muss unter Sicher-
stellung der notwendigen Lebensmittel fuer die Be
voelkerung. Nur eine und die andere Anfrage
wuenscht genauere Angaben ueber die Ausfuehrung
einzelner Bestimmungen, und ein bisschen laenger
unterhaelt man sich ueber die Frage des zweiten
Grasschnittes, der bei der flandrischen Weidewirt-
schaft nicht ueblich war, waehrend der deutschen
Heeresverwaltung an einer moeglichst reichen Heu-
gewinnung gelegen ist, zumal ja auch der einhei-
mische Viehbestand zurueckgegangen ist.
Jeder der Buergemeister erhaelt das betreffende
Verordnungblatt der Et.-Insp. in der die Ernte-
Anordnungen in deutsch, vlaemisch und franzoesisch
enthalten sind, und dazu gedruckt die heutigen Aus
fuehrungen des Kommandanten und mag sich zu Hause
noch einmal in die Materieliebend verëiefen.
Da man nun einmal die Herrschaften beisammen
hat, moechle der Kommandant die Gelegenheit
nicht versaumen, ihnen wegen einiger Missstaende
energisch den Kopf zu waschen. Wen's angeht, der
mag sich's zur Notiz nehmen. Also Immer noch wer
den Brieftauben trotz der strengen Strafen verbor
gen gehalten. Die Gemeinde-Polizisten tun eben
hierin, wie in vielen Dingen, nicht ihre Schuldigkeit.
Oft findet man sie bei einem Glase Bier, und der
es ihnen spendet, rechnet doch wohl auf Gegenlei-
stungen. Die eingereichten Angaben ueber die
bebauten Flaechen stimmen gegen die amtlichen Zah-
len von 1910 nicht, sie sind vielfach zurückgegan-
gen. So steht's wenigstens aur dem Papier, waeh
rend in Wirklichkeit die Anbauflaeche gewachsen sein
muss. Wir lassen uns aber keine Flausen vormachen,
Einige Gemeinden haben sich laessig in der Stel-
lung von Wagen zur Abfuhr von dem im Auftrag
der Baudirektion in ihrer Gemeinde gefaellten Holz
gezeigt. Das wird hoffentlich nicht wieder vorkom
men. Dagegen moechten die Herren Buergermeister
fuer recht viele Leute gebuehrenfreie Reisescheine
haben, die doch nur einigen, fuer jede Gemeinde
namentlich aufgefuehrten Personen (Buergermeister,
Sekretaer und einige Mitglieder des Unterstuetzungs-
Komftees), zustehen. Wird einmal ausnahmsweise ein
weiterer Freischein gewuenscht, so ist dieser Wunsch
der Kommandantur zu unterbreiten.
Auf den Friedhoefen der meisten Gemeinden sieht
es uebel aus, die Grabstaetten werden vollstaendig
vernachlaessigt. Ein bisschen liebende Sorgfalt sollte
man aber schliesslich den Ruheplaetzen seiner Ange-
hoerigen schuldig sein. Es ist also zu wuenschen,
dass hier ein Wandel eintrittan den deutschen
Soldatengraebern mag man sich ein Beispiel nehmen.
Zwar amtlich katin den Gemeinden in diese ihre inne-
re haeusliche Angelegenheit nicht hineingeredet wer
den, und der Kommandant betont deshalb ausdrück-
lich, dass er hiermit nur seinem persoenlichen Emp-
finden Ausdruck verleihen wolle.
Die Sitzung ist beendet. Die Reihen oeffnen sich
und der Kommandant verlaesst den Saai. In Gruppen
im Hofe, Gange und Saai miteinander ueber das
Gehoerte disputierend, bleiben die belgischen Dorfo-
berhaeupter noch einige Augenblicke zurueck. Aber
was hilft alles Reden, schliesslich wird man, je nach
dem man franzoesisch oder vlaemisch bevorzugt, sich,
mit einem C'est la guerre oder 't Is oorlog
verabschieden. Dann werden die alten Aalster Buer
germeister auf den grossen Oelgemaelden an den
Waenden, die so selbstbewusst ihren Degen und die
dreifarbige Schaerpe tragen, wieder allein sein und
werden die Koepfe schuetteln und sich mit den alten
Hoffnungen auf die Englaender und Franzosen, an die
aber insgeheim keiner mehr glaubt, gegenseitig zu
troesten versuchen. Und sind noch nicht einmal sicher,
ob sie unter Frankreichs und Englands Banner nicht
noch mehr die Koepfe schuetteln muessten!
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